Auf der Suche nach der Langsamkeit
Die Realität „da draußen“ liegt in weiter Ferne. Fiktion ist die Devise, flockige Leichtigkeit der Tenor, die Suche nach Entschleunigung der Antrieb des Stückes, das ganz neue Theater-Töne und Phantasmen hören und sehen lässt. Wir wollen Plankton sein des einunddreißigjährigenAutors Julian Pörksen ist eine ebenso selbstironische wie von feinem Humor durchwebte Nicht-Geschichte, denn eine Handlung im klassischen Sinne gibt es nicht. Dafür gibt es ein Trio, das es in sich hat, besser: das es in sich haben möchte - das „reine Glück“.Dabei geht es nicht, wie Sohn Micha betont, um ein banales „Sekunden-Glück“, sondern ein philosophisch überhöhtes.
Natürlich gibt’s das nur äußerst selten in der Wirklichkeit. Schon gar nicht im realen Leben des Künstler-Trios Yorick (Yuri Englert), Micha (Niklas Kohrt) und Bernadette (Melanie Kretschmann). Schon dass Yorick, kaum älter als Micha, der vaterlose Sohn Bernadettes, Sex mit der Mutter hat, streut Sand ins Getriebe. Aber immer nur so viel, dass man gemeinsam weiter träumen kann – den Traum von lebenswerten und erlebbaren Theorien. So suchen sie ihre Rolle im Miteinander und in der Welt, umkreisen sich und die Partner mit den kuriosesten und krausesten Gedanken, Gefühlen und Theaterwelten.
Dazu gibt s viel Platz in der „Außenspielstätte“ des Schauspiels Köln. Leer ist der kahle Raum, in dem ein runder weißer Teppich Mittel- und Treffpunkt all der Ausflüge des Geistes ist, in denen sich das Trio so sehr gefällt und doch auch immer wieder verheddert. „ Es wird ein Abend der Verwirrten, Traurigen und Müden“, verkündet Yorick – und beginnt mit einem „Tanz, der meine Erschöpfung darstellt“. Damit beginnt ein Spiel voller Selbstironie, wenn er, zu impressionistischen Musikklängen in Bewegungen des klassischen Tanzes übergeht. Aber alles mit Weile. Zeit ist genug vorhanden.
Wenn ihm dann Micha folgt, über das „reine Glück“ sinniert, um schließlich zu der Feststellung zu kommen, er habe „gelernt“, sein „Unglück zu lieben“, ist eine feine Groteske auf dem Sprung aufs Teppich-Rund. Und wenn Stiefpapa Yorick schließlich „etwas Trauriges“ ankündigt, meint er – Musik. Mama Bernadette denkt derweil darüber nach, ob man sich selbst belügen sollte. Ja, meint die Diva des Schauspiels. Nur „phantasievoll“ sollte es dann sein.
Melanie Kretschmann inszeniert die Uraufführung mit leichter Hand, ganz der poetisch-luftigen Vorgabe entsprechend. Ironie schwebt ebenso über allem wie die dahinter spürbare ernsthafte Suche nach Antworten auf die Sinnfrage. Dabei folgt ihr das jugendlich-locker wirkende Trio mit feinem Gespür für die Spannung in einem inhaltlich kaum Spannung erzeugenden Stück. So leben sie zwar, wie Micha weiß, in einem „Treibhaus der Neurosen“, suchen aber zugleich nach einem „ernst zu nehmenden Gegner“. Dabei ist die Atmosphäre stets getränkt in Muße, Hoffnung und Melancholie.
„Zwei Gefühle am Tag, das reicht“, sinniert Yorick vor sich hin, um „Klarheit und Einfachheit“ ins Leben zu bringen. Was, konsequent zu Ende gedacht, nur als „Plankton“ zu erreichen ist: als Organismus, dessen Richtung von den Strömungen des Wasser bestimmt wird, nicht von ihm selbst.
Die Gedanken- und Theoriespiele des Trios münden schließlich in ein anrührend-reales Schlussbild, nun ganz dem Theater der Bilder verpflichtet: Micha zieht, auf einem Fahrrad sitzend, einen Mini-Planwagen auf die bis dahin leere Spielfläche. Ob beabsichtigt oder nicht: „Mutter Courage“ grüßt aus weiter Brecht-Ferne, nun ganz der Realität verpflichtet. Das Theater ist wieder ganz bei sich. Rasender Applaus nach neunzig Minuten, die mehr und mehr in Bann gezogen haben.