Übrigens …

Der siebte Kontinent. Reise zur größten Mülldeponie der Erde im Köln, Theater im Bauturm

Vom Aloha-Traum zum Albtraum

Hawai’i, Sehnsuchtsort im Pacific. Wo der Gast mit einem Blumen-Kranz begrüßt wird, wo Blüten und Lebensfreude die Kehrseite des Archipels fast vergessen machen. Eine Kehrseite, die Hawai’i sowohl zum Symbol wie realen Ort einer ökologischen Umwelt-Katastrophe weltweiten Ausmaßes stempelt: Plastik-Müll hat einen der schönsten Strände des Archipels im Griff. Er ist Teil des „Siebten Kontinents“, groß wie Indien, der Meere und Küsten des Pacific verschmutzt.

Am Kamilo Beach von Hawai‘i häuft sich der Zivilisationsmüll auf besonders erschreckende Weise. Das war Anlass und Antrieb für ein Team von Schauspielern und Regisseur, einem Filmemacher, einer Ausstatterin und einem Puppenspieler, sich zehn Tage lang in diesem Teil des „Great Pacific Garbage Patch“, aufzuhalten. Sie interviewten Wissenschaftler und sammelten Artefakte aus Plastik. Stücke und Teile aus einem neuen „Kontinent“, in dem Kunst- und Naturprodukte untrennbar ineinander verquirlt sind. Eine Filmdokumentation zeigt die bitteren Realitäten, und ein Puppenbauer erweckte aus Überresten des Mülls eine Albatross-Puppe zum Leben, die, neben und mit realen Schauspielern, vom unbekannten „Kontinent“ im Pacific berichtet.

In Kölns agilem Privat-„Theater im Bauturm“ geriet dieser Albtraum, in einer Koproduktion des Bauturms, des Staatstheaters Mainz und des africologneFestivals, jetzt auf die Bühne. In Szene gesetzt von Jan Christoph Gockel, der bereits im vergangenen Jahr mit seinem Stück „Coltan-Fieber“, das die dunkle Seite beim Kampf um das unersetzliche Metall in Afrika thematisierte, Aufsehen erregte. Wie Gockels Coltan-Fieber ist auch Der siebte Kontinent mehr nüchterne Bestandsaufnahme als billige Schuldzuweisung.

Bewusstsein schaffen für die verheerenden Folgen, die das Kunstprodukt Plastik mit sich bringt – dazu will das in Teamarbeit entstandene Stück beitragen. Die Uraufführung schafft es auf ebenso spielerisch leichte wie unverquälte Art. Dank des Schauspieler-Duos Lilith Häßle und Sébastien Jacobi, des Puppenbauers und –spielers Michael Pietsch, der Bühnen- und Kostümbildnerin Julia Kurzweg und der von Christian Hennecke in die Bühnenpräsenz eingefügten eindringlichen Videofilm-Sequenzen vom Kamilo-Strand. Ergebnis ist eine packende Mischung aus Theaterkunst, Puppenspiel und Film-Realität.

Das Thema mag noch so eklig sein, die Inszenierung strotzt vor Witz, Humor und Ironie. Nach einer dem Stummfilm huldigenden Videosequenz, in der die Hawai’i-Welt noch in Ordnung scheint und doch der Zwischentitel davon kündet, „Plastik beherrscht die ganze Welt“, liefert Goethes „Zauberlehrling“ die Überleitung zum Kern des Stücks. Das Wasser, das in des Altmeisters Ballade die Welt zu überschwemmen droht, wird sprechendes Bild für den unaufhaltsamen Siegeszug des Plastiks. „Die ich rief, die Geister, werd‘ ich nun nicht los“.

Zwischen Ironie und tieferer Bedeutung bewegt sich von nun an das Spiel zwischen einer jungen Frau und einem äußerst virilen Mann, der die Personifizierung des Plastiks ist. Was immer sie macht – er ist immer schon da. Plastik, das allgegenwärtige Material. Es ist ein sehr temperamentvolles Spiel zwischen Realität und Metaphorik, dem das Duo köstliche Varianten abgewinnt.

Anrührend sind die Szenen, in denen ein kleiner Albatross, geschaffen aus Resten des Hawai’i-Mülls, als Marionette an den Strippen des Menschen hängt und irgendwann sein kleines Leben aushaucht – erwürgt und zerfressen von feinsten Plastikpartikeln.

Es ist ein ebenso leichtfüßiger wie schwergewichtiger Abend, der ohne ideologische Scheuklappen von einer wohl unumkehrbaren Realität erzählt. Großer Applaus nach sehr kurzweiligen fünfundziebzig Minuten.