Niqab-Hexen mischen Schotten auf
Ist Macbeth ein Text der Stunde? Wohin man schaut – überall tauchen Premieren oder Wiederaufnahmen des etwas okkult angehauchten blutrünstigen Dramas auf. Sogar die kleinen Off-Bühnen versuchen sich an dem gigantischen Stoff. Das Theater Gegendruck aus Recklinghausen nahm sich die Bearbeitung von Heiner Müller vor (siehe hier) und setzte sich mit Müllers geschichtspessimistischer Weltsicht und mit den Mechanismen der Macht auseinander, ohne vordergründig allzu sehr zu aktualisieren. Bei Stefan Krauses Inszenierung für die mit wechselnden Schauspielern arbeitende Gruppe neuesschauspielköln, die jetzt in einer vorerst letzten Sequenz im Orangerie-Theater im Kölner Volksgarten gezeigt wurde, springt uns die Aktualisierung gleich im ersten Bild an: Die Hexen tragen Niqab.
Auch der Sound des Krieges klingt nicht so, als wehe er aus der Zeit des Mac Bethad mac Findláich des 11. Jahrhunderts zu uns herüber. Schüsse hören wir aus dem Off hinter dem zeit- und ortlosen Torbogen, der sowohl einer schottischen Schlossruine als auch einer orientalischen Karawanserei angehören könnte: Schüsse, Granateneinschläge, Maschinengewehrfeuer. Die Soldaten, die die Bühne betreten, wirken recht martialisch – nur Banquo ließe sich mit etwas gutem Willen als ansatzweise sympathischer, reflektierender junger Mann beschreiben. Als Erkennungszeichen tragen sie ein kleines Schottenmuster an den Schultern. Wo wir denn nun wirklich sind, bleibt im Verlauf des 95minütigen Abends unklar: Irgendwie mischen jedenfalls ein paar kontinuierlich in den Ecken des Bühnenbildes lauernde intrigante IS-Hexen eine Horde aufbrausender lanzenbewehrter Schotten auf. Regisseur Stefan Krause will Parallelen zum Islamischen Staat ziehen und zeigen, wie „falsche Propheten“ aus einem erfolgreichen Krieger einen fanatischen Extremisten machen. Allerdings zieht er die Metapher nicht durch: Macbeths Fanatismus richtet sich letzten Endes auf nichts anderes als bei Shakespeare: auf die egoistische Durchsetzung eigener Machtinteressen. Politischer oder religiöser Fundamentalismus ist weder Krauses Inszenierung noch Frank Baumstarks durchaus beeindruckendem Spiel zu entnehmen, und abseits der wiederholten Hexenszenen kommen einem weder Syrien noch der IS in den Sinn. Anderes schon: Eine Parallele zwischen König Duncan und dem aktuellen US-Präsidenten drängt sich auf, als Duncan erstmals auf Lady Macbeth trifft: King Duncan likes to grab pussies und würde sich diesbezüglich mit King Donald gut verstehen.
Ann-Cathrin Schaible als Lady Macbeth weiß sich jedoch nicht nur zu fügen oder - je nach taktischer Erfordernis – zu wehren, sondern sie setzt auch das schauspielerische Highlight an diesem Abend. Ganz nach Belieben kokettiert sie mit Erotik, Intelligenz oder Durchtriebenheit und wäre nachvollziehbar die Strippenzieherin ihres Mannes, wenn Baumstark denn bereit wäre, sich als Marionette zu verkaufen. Doch auch in der Paarbeziehung zwischen Lady und Macbeth passen die Zielrichtung des Spiels der Lady nicht immer zur Zielrichtung des Spiels des Titelhelden. Allerdings bleibt Macbeth über lange Strecken der Inszenierung der Ängstliche, Schwache, Getriebene, der bald von Gesichtern geplagt wird, während seine Lady die Antreiberin ist. Ein selbstbewusster Herrscher ist dieser Macbeth zu keinem Zeitpunkt. Doch Macbeth verfügt über Reste von Gewissen, seine Lady nur über gewissenlosen Ehrgeiz.
Banquo, dem Jürgen Clemens wie erwähnt zu Beginn halbwegs reflektierte und sympathische Züge verliehen hatte, ist der Politiker, der nach der Ermordung Duncans seine Erschütterung in diplomatische, wohlgesetzte Worte zu kleiden vermag. Doch auch er wird bald gepackt von Ehrgeiz und Neid. Er vermag diese Regungen wie ein guter Polit-Profi zu verbergen und zeigt sie nur, wenn er allein ist: Clemens hat die Rolle des Banquo sehr durchdacht und vielschichtig angelegt. Macduff dagegen wirkt zu kontrolliert, zu schön, dank seiner warmen, angenehmen Stimme zu positiv in diesem Stück des Gemetzels: Er findet sich selbst toll, aber seine Rolle in diesem Stück findet er nicht – was auch an einigen unfreiwillig komischen Textstellen liegt, die er zu bewältigen hat. Ohnehin wirkt die Textbearbeitung gegen Ende weniger sorgfältig als zu Beginn, und die Aufführung rumpelt mit einigen überraschenden, aber so sicher nicht geplanten Brüchen ihrem Ende entgegen. Ziemlich unvermittelt stürzt sich offenbar die Königin von den Zinnen der Stadtmauer – nichts in Ann-Cathrin Schaibles Spiel hatte zuvor ihren Selbstmord angedeutet.
Jetzt, als die dominante Lady tot ist und sich die Prophezeiungen der Niqab-Hexen als falsch respektive interpretationsbedürftig herausstellen, geht ein Ruck durch Macbeth: Endlich wird er zornig und brutal. Ohne Mitleid und Erbarmen schießt er die Boten der schlechten Nachricht nieder, die ihm den auf das Schloss zu marschierenden Wald von Birnam ankündigen. Im Moment der Niederlage wird Macbeth mutig. Inmitten von Flugzeuglärm und Maschinengewehrfeuer zielt er auf seinen Widersacher Macduff. Er zielt aus kurzer Distanz. Doch der Zauber der Hexen wirkt diesmal gegen ihn: Die Kugeln können Macduff nicht verletzen.
Macbeth ist tot. „Die Welt ist frei“, heißt es. Ist die Welt frei? Als Malcolm seine Siegesrede hält, heben die Hexen noch einmal an zu ihrem „When shall we three meet again“. Sie lachen. Macbeths Tod wird die Welt nicht besser machen, heißt es in der Bearbeitung von Heiner Müller. In dieser Konsequenz ist Stefan Krause bei Müller. Was das Ganze mit dem IS zu tun haben soll, hat er uns aber nicht zu erklären vermocht.