Köln -oder Alltagswahn am Rhein
Ein zufriedenes Lächeln bei jubelnden Schlussapplaus lag auf dem Gesicht von Bernd Reheuser, der zentralen Figur im neuen Stück des Kellertheaters Do bess ming Stadt – Köln, eine Baustelle. Ist er doch nach über 1200 Vorstellungen, von 1997 bis 2006, in den „Keller“, seine alte geliebte Spielstätte, zurückgekehrt. Er hat lange gezögert, das Angebot des Keller-Chefs Heinz Keller anzunehmen, in einem Stück über seine Heimatstadt mitzuspielen, in dem Köln nicht besonders gut wegkommt, wo die Finger in zahlreiche Wunden - und das sind nicht nur die Baustellen - gelegt werden. Aber Theater soll nicht nur unterhalten, soll auch nicht nur eine bloße Zustandsbeschreibung sein, sondern zum Nachdenken und Diskutieren anregen. Der Autor Marcus Seibert, selbst begeisterter Kölner mit Aachener Migrationshintergrund, der schon mehrere Stücke für das Kellertheater adaptiert hat, war um ein Stück über seine Stadt gebeten worden; so kam er auf die Idee, dass für eine TV-Sendung „Ich bin Köln“ ein Casting mit fünf „Einheimischen“ veranstaltet wird, die sich um den Titel „Kölner Kulturbotschafter“ bewerben und sich gegenseitig mit Argumenten für die Stadt übertrumpfen sollen. Eine hübsche Idee, aus dem man viel machen kann: KSDSK – Köln sucht den Superkölner.
Die Aspiranten-Gruppe kann kaum unterschiedlicher sein. Da ist Winfried, der Mann mit Anzug und Schlips aus dem vornehmen Stadtteil Marienburg, ein sarkastischer Kulturpolitiker, der viel von Kunst, Musik und Geschichte versteht und Oper goutiert. Aber offensichtlich nicht die in Köln, die ihrer glanzvollen Vergangenheit „nach gescheiterten Intendanten wie Krämer und Dammann, einem kurzen Aufbäumen unter dem später geschassten Laufenberg und einer jetzt biederen Intendantin mit biederen Inszenierungen“ nachjammert. Spätestens hier hätten es kräftige Buhs geben müssen, denn Winfried geht offensichtlich nicht in die Kölner Oper, die an dem Baustellendebakel ja am allerwenigsten schuld ist. Wenngleich vieles amüsiert, so etwa die Vision, dass man die U-Bahn besser unter die Oper gelegt hätte, weil sich dann das Problem von selbst erledigt hätte. Einspieler etwa vom Einsturz des Stadtarchivs zu Schumanns „Dichterliebe“ ergänzen das Szenario. Günther, ein Kölsch-Barde, steht auf BAB und Brings, dem „Kölschen Grundgesetz“ und der positiven Grundstimmung in Köln.
Özge, eine hochintelligente junge Frau mit türkischen Wurzeln, wurde von ihren Eltern, die sich für deren blendendes Abitur fast schämten, nie wirklich gefördert; dennoch hatte sie soeben die Mathematik-Olympiade gewonnen. Sie liebt die Stadt, schimpft aber über immer leere Stadtkassen, den Oppenheim-Esch-Skandal, den Messebau und natürlich das eingestürzte Stadtarchiv mit riesigen Kosten und vielen Jahren Verzögerung. Aber das alles sind doch hinlänglich bekannte Pauschalvorwürfe, ebenso wie der blätternde Putz an der Decke in vielen Schulen. Eben – das reißt niemanden mehr vom Hocker. Auch der Rapper Artha, der noch bei Mama wohnt, aber Abi hat, schlägt in diese Kerbe: die schlimme Keupstraße, die 3000 Glatzen hinter dem Hauptbahnhof, der Angriff auf die Oberbürgermeisterin und ihr Zitat zum „Abstand auf Armlänge“. Er bewirbt sich hier, um Köln transparenter, ehrlicher und gerechter zu machen: Seine Heimat ist die Straße, er will von seiner Musik leben.
Etwas zu spät kommt Claudia, aber nicht wichtig, da der Auftritt von der Regie per Ansage immer wieder verschoben wird. Sie ist esoterisch angehaucht, allein erziehende Mutter und ausgebildete Tänzerin, die einst beim Tanzforum angefangen hatte, welches aber später vom Kulturdezernenten wieder weggespart wurde. Ein Skandal! Ihr flammendes Plädoyer für feste Tanz-Fördergelder und eine gemeinsame Spielstätte wurde mit heftigem Zwischenapplaus gewürdigt.
Alle warten immer noch auf ihren Auftritt, vertreiben sich die Zeit mit endlosen Diskussionen über die lokaler Kulturszene, ihre Musik, den Filz in der Stadt, über Ausländer, Überfremdung, Alkohol und Drogen, über die Kriminalität in Köln, ihre Zukunftsperspektiven, ihre Freunde und Eltern, und, und, und. Nicht wirklich etwas Neues, alles steht eh jeden Tag in allen Zeitungen, dennoch recht spannend gemacht; man musste schon gut die Ohren spitzen. Jeder hat auch dann mal ein „Solo“ über sein Leben und seine Vorstellungen, tritt vor die ansonsten leere, nur mit einem symbolischen Bauzaun und großen Köln-Buchstaben-Hockern ausgestattete Bühne. Die Spannung steigt mit jeder Verzögerung des Castings, die Diskussionen werden intensiver und kleinteiliger, die Vorwürfe heftiger. Bis man sich zusammenrauft, um gemeinsam zum Casting zu gehen; in dem Moment hört man Robert Kennedys Stimme mit einer Lobhudelei über die Großartigkeit der Stadt Köln. Kölle Alaaf, Licht aus.
Auf den stürmischen Applaus und die Ansprache des Regisseurs und Hausherrn wie immer auf der Foyer-Treppe folgte auf dem Heimweg dann doch ein wenig Ernüchterung. Nicht nur wegen des etwas unausgegorene Schlusses und eines nur schwach entwickelten roten Fadens. Als reines Unterhaltungsstück ist es zu anspruchsvoll, und als mahnender Zeigefinger deutlich zu vielschichtig, denn die Betroffenen in Köln kennen den Stoff und alle Argumente ohnehin zu Genüge. Der Autor hat vielleicht etwas viel des Guten in sein Stück gerührt; manchmal ist weniger mehr. Natürlich passieren diese Dinge auch in anderen großen Städten unter ähnlichen Vorzeichen, daher ist das Stück auch für Nicht-Kölner geeignet, die auch unter den viele Straßen- und Brückenbaustellen leiden. Ganz großes Vergnügen hatten alle an den ganz vorzüglichen Schauspielern Assim Asmani, Frank Maier, Bernd Reheuser, Franziska Seifert und Sabine Wolf, die 90 Minuten keinerlei Langeweile aufkommen ließen und die hier nicht einzelnen gewürdigt werden sollen. Gewürdigt muss aber der Regisseur Heinz Keller (mit dem Theater nicht verwandt und nicht verschwägert), der dieses Stück doch recht spannend und vielschichtig in Szene gesetzt hat. Immerhin eine Uraufführung, die bis zum letzten Moment immer noch in Arbeit war. So ist es halt im Theater.