Übrigens …

der thermale widerstand

Aufstand der Stutzigkeit

Einlass: Jeder bekommt ein Bändchen mit dem Aufdruck “tagesgast“. Jetzt gehören wir dazu, sind Tagesgäste im Thermalbad. Was bedeutet das? Sind wir im Mitmach-Theater? Tatsächlich wendet sich der taffe Bademeister irgendwann ans Publikum, versucht uns zu Sitzübungen zu animieren, doch um mich herum sehe ich keinen mitmachen. Schade!

Vorne läuft unterdessen hinter breiten Gazestreifen bereits der Wellnessbetrieb: ungenau erkennt man Figuren bei sportlichen Aktivitäten. Dann werden sie angestrahlt: sie tragen Strumpfmasken überm Kopf und ziehen ihre unförmigen, leicht transparenten „Neoprenanzüge“ über bunte Bodysuits. Einer, Hannes (Jirka Zett), löst sich aus der Gruppe, tritt vors Publikum: ein wahrer Schönling, groß, blond, strahlend. Und während er sich seine Bademeisterkleidung anlegt, liefert er uns seine gesamte Berufsideologie: er doziert, dass man mit dieser weißen uniform sich mehr anzieht als nur ein kleidungsstück, dass man mit ihr gleich einer zweiten haut auch eine verantwortung überzieht und dass so, wie man in diese uniform reinschlüpft, dass da etwas hinein in einen schlüpft, was man stutzigkeit nur nennen kann, die einen befällt oder befüllt. Und diese Stutzigkeit ist es, die seine wahre Bademeisterschaft ausmacht. Er stutzt bei allem, was in seine Idee vom diskursiven Wellnessbetrieb nicht hineinpasst und wird zum wahren Revolutionär des Kurwesens. In seinem Spind (im Text spinnt von spinnen) versteckt er wahrhaft revolutionäre Schriften, darunter Klassiker der aktuellen Kapitalismuskritik wie Saskia Sassen, Richard Sonett und Slavoj Zizek, aber auch Hans von Dachs‘ „Der totale Widerstand, Kriegsanleitung für jedermann“. Diese Kampfschrift aus dem Jahr 1957, die damals in der Schweiz verboten war, liefert minutiöse Anleitungen zum Bombenbauen und Partisanenkampf. Zum besseren Verständnis stellt Ferdinand Schmalz seinem Stück-Text einige Zitate aus diesem Schrifttum voran.

Während der Zuschauer anhand des ausführlichen Monologs mit den revolutionären Ideen des wahren bademeisters vertraut gemacht wird, wird der Blick auf die Bühne freigegeben und wir sehen einen Fitnessraum, der seine guten Zeiten lange hinter sich hat. Der Lack ist ab und Renovierung durchaus angesagt. Dominik Freyenschlag liefert damit die Bebilderung des abgewrackten Neoliberalismus – einen Raum, in dem die sechs Schauspieler Sinn und Unsinn einer aufgeblasenen Wellness-(Gesellschafts)-Konjunktur durch schnellen Rollen- und Maskenwechsel vom Kurpersonal zu überforderten kurentinnen und kurenten mit sportiven und mimischen Einlagen demonstrieren. Wir leben in einer wohlfühlblase, einer wellnessoase, in einem kurba. Wir brauchen uns keine sorgen zu machen. So das bröckelnde Motto. Dabei darf gelacht und nachgedacht werden. Gelegentlich drängen sich Querverbindungen zu literarischen Vorgängern auf: Brechts Kaukasischer Kreidekreis oder Ibsens Bäder-Drama Ein Volksfeind kommen einem in den Sinn. Auch hier gibt es eine wissenschaftliche Untersuchung und den latenten Versuch, den Geologen dr. folz (Klaus Brömmelmeier) zu bestechen. Und natürlich taucht der kapitalistische Investor auf in Gestalt der eleganten Topberaterin Marie (Dagmar Litzenberger Vinet), die für einen Softdrinkhersteller, der das Ganze zu einem Luxusbad ummünzen will, vorfühlen soll. Sie geht dabei an die Grenze ihrer Kräfte und darüber hinaus: sie erstickt schließlich beim Abnoetauchen im Wellnesspool. Die ehrgeizige Kurverwalterin Roswitha (Lena Schwarz) ist begeistert von der Idee eines Luxustempels, übersieht allerdings, dass man sie im neuen System durch eine jüngere Kraft ersetzen wird.

Die kapitalistischen Optimierungspläne stehen in krassem Widerspruch zu den widerständigen Revolutionsplänen des wahren Bademeisters Hannes, dessen Ziel die Pflege des zweckfreien nicht funktionierenden körpers und eine neue faulheit ist. Für Flüchtende und gegen Ausgrenzung soll sein gemeinschaftlicher Baderaum, das diskursbad, sein. Er wird entlassen und so in den aktiven Widerstand gedrängt. Doch dann, nach der großen Flutung, ist alles wie vordem. Hannes ist das Opfer: er wird von den Gästen stranguliert und de gruppe skandiert: wenn der bademeister stirbt ist längst noch nicht badeschluss.

Black. Applaus. Auslass.

Was an Ferdinand Schwabs Stücken besticht, ist vor allem die Sprache. Nach am beispiel der butter und dosenfleisch ist der thermale widerstand das dritte Stück von Schmalz, das bei den Mülheimer Theatertagen gezeigt wird. Allen gemeinsam ist die Fülle bildmächtiger Metaphern und der Mut zu einer manieriert künstlichen Sprache (bei durchgängiger Kleinschreibung), die mit Kalauern, Wortspielen und Wort-Erfindungen, mit Sprachwitz (kur-tisanen) und groben Assoziationen (phantomscheißer) arbeitet. Dabei bietet er einen konkreten Plot und echte Figuren, rasante Wortwechsel und immer wieder widerspenstige Sprachbrocken. Schmalz schreibt in rhythmischen Versen, „broken jamb“ nennt er sein Versmaß, das er während des Schreibens immer wieder durch lautes Lesen in seinem rhythmischen Sprachfluss überprüft. Er schafft eine Kunstsprache ohne lokale Einfärbung.

Trotz der stimmigen Metaphern für ein hochaktuelles Thema und überzeugender Schauspielleistungen, trägt der Plot von der thermale widerstand nicht über die fast anderthalb Stunden. Inhaltliche und sprachliche Wiederholungen lassen die Aufmerksamkeit erlahmen. Zwei kleine Küsschen-Küsschen-Episoden zwischen dem trägen Bademeister Walter (Sigi Schwientek) und der spritzigen Chefin geben da auch keinen neuen Pepp, zumal sie inhaltlich gar nicht eingebunden sind. Der 1985 in Graz geborene Autor schrieb das Stück der thermale widerstand“als Auftragswerk für das Schauspielhaus Zürich. Er nennt sein Stück eine Komödie, doch Lacher gab es kaum.