Wenig spektakulär
Es ist das Jahr des Reformationsjubiläums! Das ist sogar im katholischen Münster präsent und wird in vielen Veranstaltungsformen öffentlich. Auch das Wolfgang Borchert-Theater trägt dazu bei und hatte die in Litauen geborene Autorin Arna Aley damit beauftragt, sich einem spannenden Thema der Stadtgeschichte zu widmen: dem sogenannten „Täuferreich“. Lohnend ist das auch heute noch allemal, gerade auch vor dem Hintergrund der gegensätzlichen, aus den unterschiedlichsten Richtungen erfolgten - manchmal geradezu schillernden – Interpretationen, die dieses in Münster wenige Jahre dauernde und Anno 1535 blutig beendete Intermezzo erfuhr.
Nun also war ein „Spektakel“ über die Täufer als Uraufführung angekündigt: Das Neue Jerusalem! Der Begriff „Spektakel“ bezeichnet aber eher (neudeutsch) ein Event, das alle Sinne beansprucht, erfreut und anregt. Das ist Aley mit Das Neue Jerusalem sicher nicht gelungen. Ihr Text offenbart fleißiges Quellenstudium – man merkt, dass sie sich mit dem Sujet intensiv auseinander gesetzt hat. Dieses erworbene Wissen vermittelt sie dem Publikum überdeutlich, erzählt die Geschichte der Täuferbewegung in Münster in ihren Grundzügen und macht sie anschaulich. Zu anschaulich bisweilen, denn Aleys Stück ist in weiten Teilen vor allem eine akribische Aneinanderreihung historischer Fakten. Ihre Figuren spucken sie unablässig aus wie Audio-Museumsführer. Das Bühnenpersonal zu Typen oder gar zu Charakteren zu formen, gelingt Aley allenfalls in Ansätzen: beim Bischof Franz von Waldeck etwa, den Monika Hess-Zanger in seiner Verlogenheit und Gottverlassenheit intensiv erfahrbar macht. Aber sonst kommen die Täufer und ihre Widersacher genauso lebendig daher wie die animierten Figuren aus den Spielszenen jener Fernsehdokus, die uns auf arte oder 3Sat das historische Weltgeschehen verdeutlichen sollen.
Der Text ist nun mal die Grundlage jeder Interpretation. Und deshalb hat es Meinhard Zanger als doch so versierter Regisseur mit dem Neuen Jerusalem auch extrem schwer. Wo keine Charaktere auszuloten sind, kann man eigentlich nur die Handlung möglichst nett bebildern. Und das schafft Zanger, indem er auf viel Bewegung setzt. Er nutzt das personenintensive Stück, um überall auf der Bühne stets Leben zu inszenieren. So gelingt es ihm, Augen und Aufmerksamkeit des Publikums wach zu halten über diese sehr lang werdenden zwei Stunden und vierzig Minuten. Zanger kreiert Massen, die maskenbewehrt das anonyme, leidende Volk symbolisieren, lässt sie als Unterdrückte über die Bühne robben. Bilder für unten und oben sind allgegenwärtig. Weniger gut gelingt ihm die Szene, in der Jan van Leiden sich zum König krönt. Die als opulent gedachte, orientalisch anmutende Szene gerät dann doch eher spartanisch. Vielleicht stellt sich so ein Westfale Ausschweifungen vor.
Zangers Regie will Leben in eine historische Lehrstunde bringen. Doch das Manuskript bietet ihm kaum Spielraum. Da können auch die Beteiligten auf der Bühne nicht viel tun. Ihr Engagement ist spürbar. So bringt Jürgen Lorenzen als Knipperdolling den einzigen Moment der Tragik ins emotionslose Bühnengeschehen, als er gezwungen wird, seine Frau zu enthaupten. Florian Bender kann sich als Jan van Leiden noch so sehr bemühen: Sein Text gestattet ihm weder feurige Raserei noch Momente der Reflexion.
So bleibt die Frage, an wen sich dieses Stück richtet. Jeder, der länger in Münster lebt, ist mit den präsentierten Fakten über das Täuferreich vertraut. Vielleicht ist vom WBT eine Art Education-Programm intendiert.
Wie „Spektakel“ wirklich geht, zeigt eher zufällig beim Heimweg im Vorübergehen das Theater Titanick auf dem Hafenplatz vor dem Borchert-Theater!