Die Auflehnung gegen die Verdunklung der Wahrheit
Die Uraufführung von Leben des Galilei fand am 9. September 1943 am Schauspielhaus Zürich statt. 1946 hatte Brecht das Stück unter dem Eindruck der Atombombe auf Hiroshima neu gefasst, mit Charles Laughton übersetzt und am 30. Juli 1947 am Coronet Theatre in Los Angeles zur Aufführung gebracht. Thema: die Beziehungen zwischen Macht und Wissenschaft.
Die Handlung bezieht sich auf einen Ausschnitt (1606-1640) aus dem Leben des italienischen Mathematikers und Astronomen Galileo Galilei (1564-1642), der durch seine astronomischen Forschungen zu der Erkenntnis kam, die Sonne im Mittelpunkt des Alls zu sehen und nicht mehr die Erde. Ein Konflikt mit der katholischen Kirche, die durch ihn die von Gott gesetzte Anschauung der Welt gefährdet sah, war unvermeidbar. Galilei unterwarf sich der Inquisition, nachdem man ihm die Folterinstrumente gezeigt hatte. Er widerrief seine revolutionären Erkenntnisse, gab sie aber heimlich weiter.
Konstanze Lauterbach inszenierte das Leben des Galilei am Schauspiel Essen auf erfrischende Weise. Sie fand dabei eindrucksvolle Bilder. So ist das an keinerlei Zeit festzumachende Bühnenbild neutral: eine schräge, weiße Fläche, die manches ins Gleiten bringt. Darüber ein immer wieder einmal herabgelassener riesiger Weihrauchkessel, aus dem Nebelschwaden in den Zuschauerraum fließen. Die Kostüme sind schlicht und doch beeindruckend. So treten drei Herren, die in Florenz die traditionellen Wissenschaften darstellen und gelehrt auf Latein kommunizieren, in weißen Kitteln auf, auf denen „Mathematik“, „Philosophie“ und „Theologie“ steht. Mönche sind durch übergeworfene schwarze Kapuzen leicht zu identifizieren. Ein roter Umhang und rotes Licht – schon sehen wir Kardinal Barberini als Papst Urban (Jens Winterstein). Die Atmosphäre wirkt bedrohlich, beschließt man hier doch, ihm „die Instrumente zu zeigen“. Eine Riesenröhre stellt das Fernrohr dar, mit dem der italienische Physiker zu neuen Erkenntnissen über das Sonnensystem gelangte. Galilei, die zentrale Figur, wird äußerst beeindruckend von Axel Holst gespielt. Zunächst ein selbstbewusst auftretender Kraft- und Genussmensch, der von der „neuen Zeit“ spricht, „weil die Menschheit Bescheid weiß über ihre Wohnstätte“. Er glaubt: „Die Vernunft hat gesiegt.“ Welch ein Kontrast zu dem gebrochenen Mann, der sich als Gefangener der Inquisition nur noch den kulinarischen Genüssen hinzugeben scheint: „Ich habe meinen Beruf verraten.“ Das hervorragende Ensemble (Alexey Ekimov, Ines Krug, Stephanie Schönfeld, Stefan Migge, Stefan Diekmann, Sven Seeburg, Rezo Tschchikwill) glänzt zum Teil in verschiedenen Rollen. So Jan Pröhl als knauseriger Kurator der Universität Padua und besonders gut als intriganter Kardinal Inquisitor. Philipp Noack hat nur einen kleinen Soloauftritt als Galileis Beichtvater, in dem er glaubhaft die Zweifel äußert, wie die neuen Erkenntnisse mit der Lehre der Kirche in Übereinstimmung zu bringen seien, die doch dem Volk vermittelt, wozu Schweiß, Hunger und Unterwerfung letztlich gut seien. Thomas Büchel führt als Sagredo einen höchst aktuellen Dialog mit seinem Freund Galilei: „Wo ist dann Gott in deinem Weltsystem?“ Galilei darauf, noch selbstbewusst: „Das Denken ist eines der größten Vergnügen der menschlichen Rasse.“
Auch das Volk in Venedig in einfallsreichen Schwarz-Weiß-Kostümen (alle zeigen ein Symbol der Kirche) und der turbulente, bunte Karneval finden in dieser Aufführung ihren Platz.
Ein ansprechender, unterhaltsamer, aber nicht oberflächlicher Abend, der Brechts auch heute noch geltende Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft vor der Wahrheit und der Gesellschaft vielfach beleuchtet.