Suche nach Aufmerksamkeit
Da stehen sechs junge Leute im weißen Bademantel in Reih und Glied vor dem Publikum und deklamieren einen Text über die Beziehung der Menschen untereinander und deren Selbstwertgefühl. Man fühlt sich versetzt in eine klassische Tragödie im alten Griechenland, sitzt aber in einem Kölner Multi-Kulti-Theater, welches - nach einem verlorenen Räumungsprozess - am 7. Juni 2017 dicht gemacht werden muss. Eine absurde Situation für ein durch Einwanderer ins Leben gerufenes Haus, welches mit einem unglaublich vielseitigen Programm und hervorragender Auslastung ein wesentlicher Bestandteil der kulturellen Szene im Kölner Stadtteil Ehrenfeld ist. So sieht es auch Gisela Deckart, Referentin der Stadt Köln für Kultur und Tanz, die das Theater unbedingt erhalten möchte. Nur – der Stadt sind da die Hände gebunden, da es sich um einen rein privaten Mietvertrag handelt.
Die Gründe liegen länger zurück; der frühere türkische Betreiber des Theater Necati Sahin hatte Mietrückstände und das Theater ziemlich vergammeln lassen. Trotz Wechsel auf einen neuen Trägerverein unter Feramuz Sancar konnten die alten Vorbehalte offensichtlich nicht ausgeräumt werden, obwohl sämtliche Verbindlichkeiten bezahlt seien und die früher Herrlichkeit wieder da ist. Hinter vorgehaltener Hand unterstellt man dem Vermieter KEKS, der Kindertagesstätte Kölner Eltern- u. Kinderselbsthilfe e.V., schlichtweg Fremdenfeindlichkeit; es scheint aber auch, dass die Fronten derartig festgefahren sind, dass eine schnelle Aufweichung kaum möglich erscheint.
Obwohl von Seiten der Stadt, des Kulturamts, des Bezirks und der Parteien breite Unterstützung und auch finanzielle Absicherungen zugesagt wurden, verweigert der KEKS-Vorstand nicht nur jegliches Entgegenkommen und die Einhaltung mündlicher Absprachen, wie zum Beispiel einem zugesicherten, lang ersehnten Mietvertrag. Er ist sogar seit Monaten zu keinem Gespräch bereit und verweigert jeglichen vernünftigen Umgang zwischen engagierten Bürgern. Obwohl Sancar nach eigenen Worten viel eigenes Geld in Haus und Technik investiert und eine beachtliche Auslastung von 70 Prozent erreicht habe. Im Raum steht auch eine stramm ausländerfeindliche Bemerkung von Petra Dill aus dem KEKS-Vorstand, welche sie allerdings später zurückgenommen hatte.
Da passt natürlich das neue Stück Etwas Echtes wäre schön von Michael Neupert, der auch inszeniert hat, genau herein. Die jungen Leute streben nach Aufmerksamkeit, Anerkennung und Erfolg; sind sie ausreichend schön, klug, einzigartig und beneidenswert? Jeder einzelne möchte anerkannt und geliebt werden, hat das Bedürfnis, etwas Echtes und Ehrliches zu bekommen. Die Gruppe ist stark, der einzelne aber hilflos und schwach; den einen lässt man nicht herein, einen anderen verachtet man wegen seiner sexuellen Orientierung. Jeder versucht von einem gemeinsamen Besitz – hier symbolisch ein ganzer Berg kleiner Waschschwämme – möglichst viel zu erhaschen und stopft es sich überall in die Kleidung. Die Einsamkeit der Gruppenmitglieder scheint überhand genommen zu haben, erst recht nach dem Frust einer Sexparty. Was bleibt, sind exzessive Schuldgefühle, die man versucht mit den Schwämmen und dem Wasser aus großen Bottichen von sich abzuwaschen; es kommt zu einer regelrechten Wasch-Orgie, die immer hektischer wird und gar nicht mehr enden will. Auch die erste Sitzreihe bekommt etwas ab davon.
Bis man klatschnass erneut in die Bademäntel steigt und sich aufstellt wie zu Beginn: es geht genauso wieder los im Leben, alles scheint nichts genützt zu haben, der einzelne ist wieder allein mit seinen Fragen und Problemen.
Das hoch aufmerksame, überwiegend junge Publikum, viele von weit her, jubelt lange und laut ob der exzellenten schauspielerischen Leistung von Laura Brinkmann, Siiri Mälzer, Matthias Pieper, Jonathan Platzen, Chris Carsten Rohmann und Tim Vanwersch und natürlich Michael Neupert. Ob auch weiterhin gejubelt werden kann, wird sich in der kommenden Woche herausstellen. Vorsorglich hat der Theaterchef seinen Rücktritt angekündigt: „Ausländerfeindlichkeit hat uns Steine in den Weg gelegt… Ich hätte nicht gedacht, dass Rassismus und Vorurteile bis in die höchsten Instanzen gehen können, selbst in einer weltoffenen und multikulturellen Stadt, wie Köln eine ist.“
Hoffen wir, dass Feramuz Sancar mit seiner Bühne in Ehrenfeld bleiben kann.