Übrigens …

Die gelehrten Frauen im Orangerie-Theater Köln

Leben auf der Bühne

Wenn Studenten nach einer vierjährigen Ausbildung an einer Schauspielschule eine abschließende „Diplom-Inszenierung“ präsentieren möchten (oder müssen), kann das ein spannendes Event werden - aber auch problematisch sein, wenn sechs Frauen und nur 2 Männer die begehrte Urkunde erlangt haben. So just geschehen bei der Theaterakademie Köln im Herzen der Stadt, wenige Minuten entfernt vom renommierten Orangerie-Theater, der stimmungsvollen Location in einem früheren Festungsbau, der dann als Gewächshaus des Volksparks genutzt wurde. Da liegt es ja nahe, mit der Abschlussarbeit hierher zu gehen, zumal das Theater mit rund 15 freien Theatergruppen zusammenarbeitet. Denn größer ist das Problem: „Was können wir denn in dieser Besetzung überhaupt spielen ?“ Nach langem Suchen fand man Die gelehrten Frauen von Jean Baptiste Molière, bestens bekannt durch den Eingebildeten Kranken oder Tartuffe. Immerhin gibt es fünf Frauenrollen im Stück, so dass man kurzerhand die Figur des Chrysale als Hosenrolle konzipiert hat. Nur – das Stück kennt kein Mensch, auf den deutschen Spielplänen taucht es praktisch nie auf, obwohl es der Autor zu seinen Lieblingswerken zählte. Das mag zum einen an der für ungeübte Ohren schwer verständlichen Rhetorik des „Alexandriners“ liegen; dieses Reimschema ist fester Bestand seines Sprachwitzes. Vielleicht aber auch, dass die intellektuelle Emanzipation der Frauen im Gegensatz zu ihrer traditionellen Rolle als Mutter und Hausfrau jede Menge Fußangeln auslegt.

Das Stück enthält viel Konfliktstoff, weil sich die Schwestern Henriette und Armande um den vornehmen Jüngling Clitandre streiten; die eine mit intellektueller Brille mit Abscheu vor „ungebildeten Menschen“ und ständig mit Literatur unter dem Arm, die andere mit unverhohlenem Hang nach Geborgenheit in einer kinderreichen Familie. Satirisch wird die Zerstörung dieses Idylls karikiert, ebenso die scheinheilige Geldheiratsspekulation durch den Poeten Trissotin, auf welche die Mutter der beiden Schwestern zunächst hereinfällt. Selbst der Köchin Martine wird wegen unzureichender Bildung gekündigt, Und Mama Philaminte ist mit der Heirat ihrer Tochter einverstanden. Onkel Ariste rettet schließlich die Situation indem er dem bereits bestellten Notar zwei gefälschte Briefe präsentiert, die den finanziellen Untergang der Familie belegen sollen. Was dann natürlich den Rückzug des Bewerbers Trissotin nach sich zieht. Der einzige ruhende Pol in der Verwirrung ist die „naturbelassene“ Köchin Martine, die sich auf Bürgerrechte und Frauenpower freut.

Das Stück ist voll von subtilem psychologischem Tiefgang, reich an Situationskomik, an schneidender Charakterisierung der handelnden Personen, auch voll von Witz und abgründigem Komödiantentum. Aber Molière hat hier keine Karikaturen, sondern reale Menschen mit all ihren neurotischen Probleme, ihren Sehnsüchten und Illusionen gezeichnet. Diese ungeheure Vielschichtigkeit der Komödie ist eine perfekte Spielwiese, um sich schauspielerisch mal so richtig darstellen und austoben zu können. Und natürlich ideal für „Stage-Hunter“ aus der Theaterszene, denen Talente sich in voller Entfaltung vorstellen können.

Im Theater war eine mehr als exzessive und prächtige Inszenierung zu erleben. Den jungen Absolventen hatte nicht nur der Regisseur Janosch Roloff geholfen, einst selbst Schüler an der Theaterakademie und in politischen Theater unterwegs, sondern auch Claudia Holzapfel für die Körperarbeit und Christiane Bruhn, langjährige Schauspielerin an namhaften Bühnen, frühere Chefin des Kölner Kellertheaters und Theaterpädagogin. Herausgekommen sind über zwei Stunden hochspannendes Theater, mit ganz vielen Facetten, mit Gesang, mit vielen inszenatorischen Feinheiten und Gags, mit Gefühlsausbrüchen und Raps; unmöglich, hier alles auch nur annähernd beschreiben zu können. Auf der Bühne mit Bücherstapeln und einem überdimensionalen Reclam-Heft ein großes Schild „Statut für eine Frauenakademie“, die Frauenbewegung ist schon großes Thema, zum Schluss gibt es für alle einen kleinen Doktorhut.

 Es war ein großes Glück, die jungen Schauspieler im Zenit ihrer Ausbildung und an der Schwelle der Berufstätigkeit erleben zu dürfen. Und alles ganz ohne Souffleur. Ein schwadronierender Pantoffelheld, eine intellektuelle Powerfrau, die ganz unterschiedlichen Schwestern, der pseudointellektuelle, ganz köstlich homoerotische Poet, eine überkandidelte Tante, die deftige Köchin und der ehrliche Hochzeitsaspirant - eine Fülle von Figuren und Charakteren, die ganz wunderbar in alle Ecken perfekt ausgeleuchtet wurden. Soraya Abtahi, Katharina Baschan, Yannick Hehlgans, Leonie Houber, Kai Mücke, Celine Oberloher, Lena Urig und Judith May seien daher an dieser Stelle „en bloc“ in höchstem Maße für Ihre Kunst gelobt, verbunden mit dem Wunsch auf eine erfolgreiche berufliche Zukunft. “. Immerhin prangen auf der Bühne in einer Ecke der Mond und ein leuchtender Sternenhimmel. Das kann auch symbolisch aufgefasst werden, denn Schauspieler gibt es in Deutschland leider „wie Sand am Meer“, und die berufliche Zukunft steht dann oft „in den Sternen“.