Übrigens …

Teatro Delusio im Philharmonie Köln

Der Traum vom poetischen Theater

Zwei Jahrzehnte alt – und so poetisch und komödiantisch wie einst, im Gründungsjahr 1996. Damals riefen Hajo Schüler und Michael Vogel, Absolventen des Studienganges Pantomime an der Essener Folkwang-Hochschule, die „Familie Flöz“ auf den Plan, sprich: auf zahlreiche Spielflächen im Ruhrgebiet. Ganz der Landschaft verpflichtet, in der, ehe ihre Zeit vorbei war, die ergiebigen Kohle-Flöze den Menschen Arbeit und bescheidenen Wohlstand bescherten. So hieß ihr erstes Stück auch Familie Flöz kommt Über Tage.

International ist die Truppe, die sich 2004 aus dem Pott nach Berlin absetzte, noch immer. So international wie ihre Spielorte, die sie seitdem begeistert haben – in 34 Ländern der Erde. Ihr erster großer Erfolg war eine Hommage auf das Theater selbst, das 2004 uraufgeführte Masken-Wunder Teatro Delusio (Theater der Illusionen), in dem, wie seitdem immer wieder, kopfgroße Masken zum Leben erweckt werden. Durch die Mimen, denen sie ein neues, ein ungewohntes „Gesicht“ und Ausdruck verleihen. Es sind, um das glorreiche Trio gleich zu nennen, Dana Schmidt, Daniel Matheus und Sebastian Kautz.

Sie eröffneten, unter der Regie von Michael Vogels, verborgen hinter den fantastischen Masken von Hajo Schüler, mit dieser Hommage das 30. „Kölner Sommerfestival“, das, mit den „Flözern“ am Start und drei weiteren international vagabundierenden Truppen vier Wochen lang (bis 20. August) die Kölner Philharmonie zum Staunen, Singen und Tanzen bringen soll.

Die „Flözer“ spielen mit allem Theater, was diese Kunst des Augenblicks ausmacht. Mit Ausnahme der Sprache. Es fällt nämlich keine einziges Wort. So gibt es auch keine Missverständnisse mit und zwischen dem blendenden Trio, das hinter so viele Masken und damit Charaktere schlüpft, dass einem schwindeln kann. Doch die Macher – Paco Gonzáles, Björn Lesse und Michael Vogel sind die Stück-Autoren – und Darsteller fegen die Verwirrung mit Poesie und Humor hinweg und schaffen damit ein 90-minütiges Theaterwunder. Ein Wunder, das im Zusammenspiel mit der Fantasie des Zuschauers entsteht. Denn nur in dessen Kopf fügt sich zusammen, was das Auge sieht.

Schwebend beginnt es, im wahrsten Wortsinn. Eine weiße Engelsgestalt, sichtbar geführt von Sebastian Kautz, blickt aus fragenden (Masken-)Augen in die Bühnenwelt. Eine Figur, die später immer wieder einmal auftaucht. Einer Mahnung gleich, deren Sinn sich freilich kaum erschließt. Vielleicht steht, schwebt und verschwindet sie wieder – und steht als Sinnbild für die flüchtige Kunst des Theaters. Und für das, was Theater vermag: die Welt als wunderbaren Ort zu sehen und zu erleben, in dem sich Schönheit, Fantasie und Wirklichkeiten ergänzen können.

Der Engel entschwindet in den Bühnenhimmel – und lässt drei Bühnenarbeiter zurück. Backstage sind sie wie wir, ganz nah und doch Ewigkeiten von dem entfernt, was sich auf der wahren Bühne abspielt. Bob, Bernd und Ivan sind hier die Helden des Alltags. Sie machen die Hinterbühne zu ihrer eigenen Welt-Bühne. Auch in ihr gibt es Ängste und Träume, sich beharkende Charaktere, Machos und Sensibilität. Bernd ist der sensible lange Kerl, der sich mit Mini-Büchern in die Welt der Literatur versenkt – wenn er von seinen Kollegen nicht darin gestört wird. Bob, der Kleinste im Bunde, spielt schon mal den großen Macker und Macho, und Ivan, der selbsternannte Chef in dieser Bühnenwelt, glaubt, alles unter Kontrolle zu haben.

Die Hinterbühne, die wir sehen, und von der aus man nur ahnen kann, was „vorne“ passiert, wird im Laufe des Abends zu einer Zwischenwelt. Aufgemotzte Möchtegern-Stars tauchen auf, erscheinen in ihren Rollen, in grandios verkitschten Kostümen (Eliseu R. Weide), verwirren das Trio – und binden es dabei ein in eine ganz eigene Geschichte. Mitreißend komisch ist der selbstverliebte Autor dessen, was „vorne“ gerade umjubelt wird. Von grandioser Komik und Melancholie zugleich erscheinen all die Musiker-Figuren, die dem Trio ihren Pausen-Besuch abstatten. Der debil zitternde und spitznasige Geiger – ein Glanznummer maskenhafter Schauspielkunst. Dass Autor wie Geiger, Trompeter und Dirigent, dass all die auftretenden Figuren, insgesamt 29, von den nur drei Akteuren in oft rasendem Wechsel zum Leben erweckt werden, ist schier unglaublich, ja einfach grandios.

Es ist das hohe Fest der Masken, das die „Familie Flöz“ zum Wirbeln bringt. Mit Gesten und Aktionen, die von großer Menschenkenntnis zeugen. Eitelkeiten und Bosheiten, Schwächen und Stärken, Raffinement und Naivität erleben wir in allen möglichen Verästelungen. Keine Figur gleicht der anderen, und dennoch leben sie alle in einer Welt. Und wenn sich das Leben der Künstler im Rampenlicht, denen das Publikum vor dem Vorhang zujubelt, mit den Träumen der drei Bühnenarbeiter zu verflechten beginnt, etwa der schüchterne Bernd und eine Tänzerin anbandeln, ist das Theater ganz bei sich.

Es ist Theater, nichts als Theater. Eine Kunstform, die aus dem Augenblick lebt und dabei mehr über den Menschen erzählt als manch verquälter Versuch, der sich weltverbesserisch geriert und dabei das Künstlerische aus den Augen verliert. Großer Applaus für einen be- und verzaubernden Theater-Abend.