Maria Stuart im Bochum, Schauspielhaus

Starke Frauen in einer hermetischen Männerwelt

Es war der Tag, an dem Andrea Nahles zur Fraktionschefin der SPD gewählt wurde. Ihr Ministeramt musste sie damit niederlegen, und am Morgen hatte sie zum letzten Mal an einer Kabinettssitzung der alten, abgewählten Großen Koalition teilgenommen. Ein bisschen Wehmut sei dabei gewesen, hatte sie gesagt: „Aber ab morgen kriegen sie in die Fresse.“ Nahles, der ohnehin ein beispielloses Loyalitätsverhalten nachgesagt wird, merkte nicht, dass es genau solche Reaktionen sind, die Politikverdrossenheit hervorrufen. Die Bürger vermissen authentische Geradlinigkeit, viele Politiker aber glänzen mit radikalen Richtungswechseln und opportunistischen Volten. Nahles, eine der fleißigsten und erfolgreichsten Ministerinnen der alten Regierung, warf mit einem Satz um, was sie mühsam in der Zusammenarbeit mit dem Koalitionspartner aufgebaut hatte. Merkel, die Königin einer langen, vielleicht inzwischen zu lange währenden Kanzlerschaft, dürfte gelassen, aber angewidert reagiert haben.

Ein wenig vertrauenerweckender Lord Leicester tritt in Heike M. Götzes Inszenierung von Schillers Maria Stuart am Schauspielhaus Bochum aus dem Chor der kaum voneinander unterscheidbaren Männer hervor. Er hat als Richter für die Hinrichtung Marias votiert, doch: „Im Staatsrat sprech‘ ich anders.“ Vor allem spricht er - ebenso wie der unerbittlich für den Tod Marias sich aussprechende Burleigh - schreiend und in bisweilen alberner Mimik, Gestik und Intonation. Leicester ist der Wendehals in der hin und her wogenden Intrige in Schillers Trauerspiel. Elisabeth, die Königin, hört sich das an - traurig, melancholisch und ein wenig angewidert.

Ist Heike M. Götzes Inszenierung also ein Gleichnis, das über unsere verkommene politische Kultur erzählt? Schillers Drama würde einige Ansätze dafür bieten - letztlich intrigiert hier jeder gegen jeden, und ein jeder verfolgt vor allem voller Opportunismus seine eigene Agenda. Auch um Religionskriege geht es in Schillers Stück. Doch Götze hat, so scheint es, anderes vor. Sie zeigt, wie sich starke Frauen vergeblich an einer einen hermetischen Abwehrriegel bildenden patriarchalischen Gesellschaft abarbeiten. Ihr Inszenierungskonzept ist hochinteressant, aber es geht nicht auf. Die Männer, gekleidet in einheitlich geschnittenen gelben, grauen, blauen oder roten Hemden und Hosen, sprechen nahezu ihren gesamten Text im Chor. Leicester, Burleigh und Mortimer sind die einzigen, die für wenige Auftritte aus dem Chor heraustreten und individuelle Textpassagen haben. Ob es der Wendehals Leicester ist, der in Maria verliebte Mortimer oder den Tod Marias fordernde Burleigh: männliche Machtinteressen und sexuelle Gier vereinen sie in einer Abwehrfront gegen die Gleichberechtigung der Frau. Sie brüllen, sie schreien, sie exponieren sich mit Albernheiten, sie ohrfeigen, bespucken und liebkosen die Damen, sie lecken sie lüstern ab - aber sie verfügen über die Frauen und hören sie nicht an. „Ich höre staunend die Gewalt des Mundes“, sagt Maria einmal zu Burleigh. Bei Götze scheint sie nicht nur die rhetorische, sondern auch die körperliche Gewalt zu meinen.

„Die Königinnen sind nur Sklaven ihres Standes; ihren eigenen Wünschen dürfen sie nicht folgen“. Das sind die ersten Worte, die Elisabeth an diesem Abend an ihr Auditorium richtet. Die Männer gehen oft ironisch mit ihr um, und sie heizen sie, die scheinbar Friedliebende, auf zur Gewalt. Von Achtung gegenüber den Königinnen erleben wir keine Spur. Dabei sind die Frauen eindeutig die stärkeren Figuren des Abends. In bunten Kimonos - blau die Elisabeth, grün die Maria -, unter denen sie blanke Brüste tragen, wirken sie auffälliger, attraktiver und unterscheidbarer als die Männer. In Götzes vollständig entpsychologisierter Inszenierung lassen sich charakterliche Unterschiede zwischen Elisabeth und Maria erkennen: Die Schottenkönigin ist kämpferischer, die Königin von England reflektierter, trauriger, vielleicht aber auch entscheidungsschwächer. Desillusioniert sind beide. Bettina Engelhardt als Elisabeth ist auch schauspielerisch die Königin des Abends - vor allem wohl, weil sie die einzige ist, die nicht schreit. Johanna Eiworth als Maria aber gehört die stärkste Szene des Abends. Das ist gleich die erste: Eiworth entert die kühle, technisch anmutende Bühne, die wie eine kaleidoskopartig verschobene Stadiontribüne mit aus schwarzen Paletten gebildeten Stufen wirkt, und arbeitet sich zu mitreißenden Techno-Rhythmen ab - viele Minuten lang und bis zur völligen Verausgabung. Da trainiert jemand seinen Körper für einen Kampf, in dem es um Leben und Tod geht. Es ist eine hammerstarke Tanz-Performance, die in jeder renommierten Kompanie des Choreographischen Theaters Bestand hätte - aber die sechs Männer schauen teilnahmslos zu. Nicht einmal, als die attraktive Eiworth ihren Oberkörper entblößt, wird ihr Interesse geweckt.

Gemessenen Schrittes dagegen betritt schließlich Elisabeth die Bühne. Sie, die Königin von England, hat die Macht. Sie ist der Souverän - und sie wirkt souveräner. Doch auch sie steht einer hermetischen Männerwelt gegenüber. Götze demonstriert, dass Maria und Elisabeth letztendlich in der gleichen Falle sitzen. Mehrfach spricht die eine den Text der anderen tonlos mit. Ihre Kleidung ist die gleiche - nur tragen sie andere Farben. Die Königin von Schottland und die Königin von England teilen sich eine Krone - und diese Krone schmückt sie nicht, sondern sie wirkt wie eine Dornenkrone: Sie ist in stählernem Grau gehalten, und steile Zacken züngeln gefährlich in die Höhe. Maria und Elisabeth sind zwei einsame Frauen, die vor ihrem ersten Aufeinandertreffen weit voneinander entfernt auf der abweisenden Tribüne sitzen und nur mühsam in der Lage sind, ein Gespräch zu beginnen.

Irgendwie ist das Konzept, das dieser Inszenierung zugrunde liegt, schlüssig. Götze hat einen mutigen, für Freunde des Regietheaters hochinteressanten Ansatz gewählt. Aber wer das Stück nicht aus dem Effeff kennt, dürfte angesichts der einheitlich gestalteten Männerfiguren bei den hin und her wogenden Debatten verloren sein. Wer ist denn nun Mortimer, wer Leicester, wer Burleigh? Sind sie für oder gegen Maria? Und wer sind die anderen, die namentlich nicht oder kaum erwähnt werden? Und selbst wer das Stück gut kennt, fragt sich: Warum schreien die bloß immer so? Und warum gerieren sich die Einzelfiguren oft so albern? Ein grandioser Soundtrack, das einschüchternde, beeindruckende Bühnenbild und beiden hervorragenden weiblichen Darstellerinnen vermögen diese inszenatorischen Schwächen bis zur Pause nicht zu kompensieren. Nach der Pause erwarten uns nur noch dreißig Minuten. Und die sind plötzlich großes Kino: Da gibt es keine Albernheiten mehr. Jetzt gibt es das Pathos der griechischen Tragödie - und dräuende christliche Litaneien. Die Männer kommen in Wolfsmaske auf die Bühne. Der Mann ist der Frauen Wolf? Nein, sie kommentieren als griechischer Chor. Beide, Maria und Elisabeth, erhalten ihre letzte Waschung - auch sie ist durchaus sexuell aufgeladen. Beide werden hingerichtet - in aller Brutalität. Sie saßen in der gleichen Falle. Ein irrer Nackter setzt sich nun die Krone auf. Die Männer haben den Thron zurückerobert. Und die Welt spielt wieder verrückt.