Der Sturm im Schauspielhaus Düsseldorf

Das Schauspiel rief und viele, viele kamen

Das Düsseldorfer Schauspielhaus lädt zum Theater für die ganze Familie ins Theaterzelt am Rheinufer ein und tatsächlich tummelten sich eine Menge Kinder vor Premierenbeginn vor dem mit leuchtenden Sternen und Lichtkugeln geschmückten Zelt. Jung und Alt verwandelten die Rheinwiese in ein Theaterfoyer und man hätte das Ganze für eine spätsommerliche Party halten können, wenn da nicht das unheimliche Sturmesbrausen für eine akustische Einstimmung auf das zu erwartende Stück gesorgt hätte.

Im Zelt wird der Sturm noch vom Dröhnen und Tosen sich am Land brechender Wellen übertönt und wenn dann noch grelle Blitze rund um das Zeltdach fahren und das gesamte Zuschauerrondell unter weißem Dunst verschwindet, ahnt das Publikum, dass es mitten drin ist, im magischen Unwetter des Zauberers Prospero.

Vor uns die Bühne vermittelt allerdings so gar nichts von einer wilden, verwunschenen Zauberinsel, die geheimnisvolle Nymphen, Hexen und Harpyien beherbergt; vielmehr erinnert sie an einen herrschaftlichen Innenhof mit zwei schwungvollen Treppen, die zur Balustrade in der ersten Etage führen. Weniger fein wirkt allerdings der Plastikmüll, der rund um die Bühne, auf den Treppenstufen und sogar bis auf die Balkone abgelagert ist: Flaschen, Kanister, Schaumstoffreste, Kisten und Tüten, was immer das Meer an Abfällen anspült, scheint die Insel unter sich zu begraben. Zweifellos ein drastischer Hinweis auf die Bedrohung, die den letzten Idyllen der Welt durch die Zivilisation droht. Ein pädagogischer Zeigefinger, der sich sinnvoll ins Gesamtbild einfügt.

Dann taucht inmitten des Getöses Ariel, der Luftgeist auf, eine metergroße weißgeschminkte zierliche Puppe – vielleicht ein wenig zu zierlich für die Zaubermacht, mit der sie die Gewalten von Luft und Meer beherrscht und die Katastrophen, die sie damit befehligt. Doch im Spielgefüge fügt sich diese Figur – wunderbar geführt und gesprochen von der Schauspielerin Alessa Kordeck – sensibel ein als Dienerin des großen Zaubermeisters Prospero (grandios Rainer Philippi) im bodenlangen Zauberer-Umhang, stets mit Zauber-Buch und Zauber-Stab ausgerüstet, wenn auch der Stab hier nur ein Stöckchen ist, das am Ende leicht zerbrochen werden kann.

Als eines der kleinen „Spiele im Spiel“, die immer wieder eingeschoben werden, wird dann die Vorgeschichte in einem Puppenspiel erzählt:

Vor der Insel kämpfen im untergehenden Schiff Antonio, der unrechtmäßige Herzog von Mailand und sein Komplize, Alonso, König von Neapel, sowie ihr Gefolge ums Überleben. Sie werden sich auf die Insel retten und wir erfahren, dass es Prospero war, der durch Zauber und Magie mit Hilfe Ariels das Unwetter entfachte und die Gestrandeten seiner Macht auslieferte. Das Ganze ist ein Racheakt für ein Unrecht, das zwölf Jahre zurückliegt: Prospero, der rechtmäßige Herzog von Mailand, wurde damals von seinem Bruder Antonio mit Hilfe Alonsos seines Herzogtums beraubt und zusammen mit seiner kleinen Tochter Miranda (und einigen wichtigen Büchern!) in einem unsicheren Boot auf offener See ausgesetzt. Prospero rettete sich auf die Insel und machte sich kraft seiner Weisheit und geheimnisvoller Zauberkünste zum Herrscher des Eilands mitsamt seiner Geister und Naturgewalten.

Miranda (Maria Perlick) taucht auf und erfährt erst jetzt, wer sie ist. In knappem Jeanshöschen und Reifrock-Gestänge gehört sie keiner Zeit an und verliebt sich gleich auf den ersten Blick in den Prinzen von Neapel (Jonathan Gyles), einen schönen Jüngling in schwarzem Spitzenhemd mit üppigen Rüschen, der als erster der Neulinge die Bühne betritt. Die Sprache wechselt jetzt immer mal wieder ins Heutige ohne aufdringlich zu werden.

Doch dann nach Ankunft der übrigen Schiffbrüchigen, beginnt auf dem Eiland ein unheimliches, böses Treiben: allerlei Ränke, auch Mord- und Revolutionspläne werden von den Neuankömmlingen geschmiedet und auf der Bühne in opulenten Einzelszenen – mal deftig burlesk, mal kurios clownesk - ausgespielt. Die Schauspieler wechseln rasant die Rollen und Kostüme und bringen ein Kaleidoskop an Figuren, Typen und Karikaturen inszene. Das alles in üppigen, phantasievollen Verkleidungen (Kostüm: Carly Everaert) die zum Lacherfolg der Inszenierung erheblich beitragen.

Sensationell der Kostümrausch nach der Pause: Ein riesiges goldfarbenes Ungeheuer, das bis zum Zeltdach reicht und mit ohrenbetäubendem Lärm höchst bedrohlich wirkt, wird abgelöst von einem weiteren Intermezzo, von drei Phantasiegestalten, die schon für ihre grandiosen Kostüme Szenenapplaus erhalten und - ganz im Shakespeare’schen Sinne – höchst klamaukig eine Streitszene darbieten.

Am Ende jedoch weiß der weise Prospero Hass, Neid und Machtgier souverän zu dirigieren: Einsicht und Reue aller Streitenden führen relativ unvermittelt zum Abschwören aller Gewalt, zu Versöhnung und Erfüllung rechtmäßiger Ansprüche. Da kann Prospero auch dem „grausen Zaubern“ und Geisterwirken entsagen: Er legt seinen Zauberumhang ab, zieht den Mantel des Herzogs von Mailand über und ist wieder er selbst. Auch für die jungen Verliebten gibt es ein Happyend. Da fließen sogar bei den Männern die Tränen: ein wenig sentimental, aber nicht kitschig, dank der überzeugenden Schauspieler-Leistungen und der glaubwürdigen Figur des Prospero.

Der Sturm ist das letzte Bühnenwerk Shakespeares und es gleicht einem künstlerischen Testament. Da wird noch einmal das große Szenario aufgemacht: es wird um Macht gerungen, es gibt hinterhältigen Verrat und Ränkeschmiede, aber auch ergebene Treue und Spaßeinlagen. . Es gibt böse und gute Geister, Elementargewalten und die große erste Liebe. Aber alles wird dominiert vom edlen Menschentum des Prospero, der kraft seiner Erkenntnis und Weisheit sich die Urkräfte der Natur zunutze macht und letztendlich sowohl Machtgier und Missgunst als auch seine eigenen Rache-Gelüste besiegt. Am Ende kann er dem Zauber abschwören und den Zauberstab „manche Klafter tief“ in der Erde begraben. Und wenn Shakespeare dann seinen Helden sagen lässt: „Hin sind meine Zauberein, / Was von Kraft mir bleibt ist mein“, könnte darin die Wehmut des Abschieds des Dichters von seinem Publikum liegen. Tatsächlich sehen manche Interpreten in der Figur des Prospero Shakespeare selbst, der das Ende seiner Schaffenszeit erahnte.

Die Düsseldorfer Inszenierung erzählt das Stück als turbulentes Märchen mit viel Klamauk und Slapstick, aber auch mit dem anrührenden Sieg der vergebenden Menschlichkeit über das Böse. Die Kinder und Erwachsenen jubelten und applaudierten begeistert.