Wer hilft hier eigentlich wem?
Wie können drei Alt-68-er, alle im frühen Rentenalter, ehemalige WG-Bewohner und Bohemiens aus dem Teufelskreis von Einsamkeit, Altersarmut und Lethargie entkommen? Ganz einfach: nochmals ihre WG aus Studentenzeiten aufleben zu lassen, mit feucht-fröhlichen Partys, Abhängen, Rauchen, lauter Musik und mehr oder weniger tiefsinnigen nächtlichen Diskussionen; man hat ja viel Zeit. Denn die Biologin Anne, die früher keine Demo ausließ, kann ihre Wohnung nicht mehr zahlen, Johannes, der als Rechtsanwalt verarmten Mandanten half, hat auch keine Kohle, und das Feuer im Womanizer Eddi, der mit seiner Gesundheit kämpft, scheint längst erloschen. Das ist die Ausgangssituation im neuen Stück zum Saisonstart 2017/18.
Eigentlich eine prima Idee, nur haben die Neuen die Rechnung ohne ihre drei Mitbewohner eine Etage höher gemacht. Katharina, Barbara und Thorsten, erschreckend spießige und engstirnige Studenten, befinden sich im Examensstress, schlagen die angebotene Einweihungsparty aus, fordern aber penible Beachtung des Putzplans für das eigentlich blitzsaubere Treppenhaus und absolute Ruhe um 22.00 Uhr. Und stehen für jegliche Altenhilfe in Form von EDV-Beratung, Apothekengängen oder Einkaufen keinesfalls zur Verfügung.
Dann stellt sich allerdings heraus, dass die „Best Ager“ mitnichten die Hilfsbedürftigen sind. Denn das Theaterstück Wir sind die Neuen bringt es herrlich auf den Punkt: zwei Generationen symbolisch auf zwei Etagen, mit ganz unterschiedlichen Intentionen. Denn es zeigt sich, dass die drei Studenten mit dem umfangreichen Lernstoff und auch mit ihrem Leben offensichtlich überfordert sind. Beim extremen Lernstress der jungen Leute fragt man schon, ob heute etwas falsch läuft, ob die Lebensqualität nicht unzumutbar leidet. Autor Ralf Westhoff, Münchner Drehbuchautor und Filmregisseur, war nach seinem WiSo-Studium zunächst als Journalist tätig und verlegte sich dann auf das Regiefach, ausgezeichnet mit zahlreichen Preisen. Auch hier hat er mit brillanten, scharf geschnittenen Dialogen und überspitzter Konfrontation die Lebensentwürfe und -ziele der Jungen und die verpassten Chancen der Alten wirkungsvoll gegenübergesetzt. Er spielt mit den Klischees, die er herrlich ins Gegenteil verdreht. Neben sehr vielen Lachern und Szenenapplaus kommt aber auch immer wieder die Lebensweisheit zum Vorschein, vor allem im zweiten, deutlich agileren Teil. Da treffen gestresste, sich selbst ständig optimierende Studenten auf die Alten voller Gelassenheit und Lebenslust.
Prompt drehen sich die Vorzeichen: Johannes (köstlich: Joachim H. Luger, bekannt als „Vater Beimer“ im TV-Dauerbrenner Die Lindenstraße) versucht der total überforderten Katharina (Katarina Schmidt) die Grundlagen der Juristerei überschäumend verständlich zu machen, Anne (Simone Rethel, Witwe von Jopie Heesters), eine quirlige Erscheinung, probiert mit skurriler und erotischer Gymnastik den armen Thorsten (Florian Gierlichs) zu helfen, der an einem sehr schmerzhaften Bandscheibenvorfall laboriert. Und der ehemalige Weiberheld Eddie (Lutz Reichert) lässt die arme Barbara (Julie Stark), die an heftigem Liebeskummer leidet, großzügig an seinem reichhaltigen Erfahrungsschatz teilhaben. Bei den drei „Alten Hasen“ spürt man die vielen Jahre Theaterleben sehr intensiv, in perfektem Timing, exzessiver Sprache und gut vorbereiteten Gags; niemand spielt sich unangenehm in den Vordergrund. Das ist natürlich auch der Verdienst von René Heinersdorff, dem erfolgreichen Autor und Regisseur, seit langem dem TaD eng verbunden. Auch die drei Studenten spielen ihren Part sehr überzeugend, wenn auch gelegentlich etwas mehr Würze nett wäre; aber das ist von der Regie vielleicht so gewollt.
Ein Sonderlob gebührt der Bühne von Thomas Pekny: auf einer Höhe hat er mit einfachen Mittel, mit einigen Stangen und zwei Türen beide Wohnebenen mit Balkon konstruiert; ein Kleidungsstück, unter Protest vom einen Balkon herunter geschmissen, landet von oben auf dem anderen Balkon, ebenso unter großem Gelächter fällt loser Putz von der Decke, als jemand oben mit dem Besenstiel auf den Boden klopft.
Wir sind die Neuen ist ein köstliches Stück über ein Generationenproblem, welches heute bei den gestiegenen Anforderungen an die Jugend aktueller ist denn je. Mit viel Witz, Situationskomik und auch einigem Tiefsinn, welches das Premierenpublikum zu heftigem stehendem Applaus veranlasste. Ein gelungener Start für die Jubiläumsspielzeit „60 Jahre“ des Theaters