Es sind nur Dick-Darm-Krämpfe!!!
Laut, durcheinander, beinahe hysterisch wiederholen Familienmitglieder und geladene Gäste die „Diagnose“, die pünktlich zum 65. Geburtstag von Big Daddy, dem sterbenskrank gewähnten Patriarchen eines Baumwoll-Imperiums, den Schein einer künstlichen, pompös-überdrehten Familienfeier aufrechterhalten soll.
Während im Hintergrund der blaue, von wenigen Wölkchen durchzogene Himmel die Größe der Plantage und die unendlichen Möglichkeiten des von Big Daddy (Wilhelm Schlotterer) verkörperten american dream erahnen lässt, ist die Bühne selbst von weißen Palisadenzäunen eingefasst, die den Ort der Handlung begrenzen und diese horizontlose Freiheit so als Illusion entlarven. Im Zentrum erhebt sich eine Art Rodeo-Tribüne, die der Aussicht über die Ländereien und Inszenierung der Feierlichkeiten dient: Ob es die schrillen, glitzernden Kleider sind, die wie eine Mischung aus Mode der 50er-Jahre, der Atmosphäre amerikanischer Schönheitswettbewerbe und einer Prise Cowboy-Ästhetik wirken, oder darauf ein fulminantes Feuerwerk zu Ehren Big Daddys veranstaltet wird; das Bühnenbild und die Kostüme von Martin Miotk machen den Bruch zwischen gesellschaftlicher Fassade und menschlichen Abgründen sichtbar. Vor allem die fünf Enkelkinder Big Daddys (Kinderstatisterie) erinnern fast schmerzhaft an die Mini-Miss-Wahlen, bei denen Eltern in den USA ihren Nachwuchs in Plastikpuppen verwandeln. Die Vorbühne verschärft diese Widersprüche, sie ist mit (halb-)leeren Whiskeyflaschen übersät und rückt so die Alkoholsucht des jüngeren Sohnes Brick (Joachim Foerster) in den Fokus.
Der ist als einziger nicht gewillt, sich in den Reigen um seinen Vater (und vor allem: dessen Erbe) einzureihen, aber nicht etwa, weil er tugendhafter als seine Familie wäre: Brick ersäuft seine gescheiterte Sportlerkarriere, die verleugnete homoerotische Freundschaft mit seinem Kollegen Skipper, für dessen Tod er sich verantwortlich fühlt und die Farce seiner Ehe mit Margaret, „Maggie“ (Sandra Bezler), die an dem Desaster mit Skipper nicht ganz unschuldig ist. Die wiederum will um ihre Liebe kämpfen und bearbeitet ihren Gatten verzweifelt, damit dieser seinen ehelichen Pflichten nachkommt und endlich den Erben zeugt, der Big Daddys Testament endgültig zu seinen Gunsten beeinflusst.
Dann sind da noch der Erstgeborene Gooper (Christian Bo Salle) und seine gebärfreudige Frau Mae (Ulrike Knobloch), die mit allen Mitteln der Kunst und dem rücksichtslosen Einsatz ihrer aufgetakelten Brut dasselbe Ziel verfolgen. Und auch Big Mama (Carola von Seckendorff), die sich bequem in ihrem machtvollen und luxuriösen Leben eingerichtet hat, setzt alles daran, die Zügel in der Hand zu behalten.
Aber das ist erst der Anfang des Lügengeflechts, Frank Behnke inszeniert das Kammerspiel um die Familie Pollitt und ihre habgierigen Intrigen lautstark und gewaltig, vor allem Wilhelm Schlotterer tobt über die Bühne, sein Big Daddy kotzt seiner Frau nahezu die Verachtung, die er seit 40 Jahren für sie empfindet, vor die Füße. Überzeugend ringt Carola von Seckendorff als Big Mama um Fassung, findet sie in ihrer Rolle als treusorgende Ehefrau und in der geplanten Party-Choreografie aber immer wieder. Schön, wie sie die Kerzen auf der Geburtstagstorte entrüstet mit einer Fernbedienung ausknipst.
Joachim Foerster windet sich als das pure Häufchen Elend durch die Szenerie: In Unterwäsche, mit einem im Suff verletzten Fuß zelebriert dieser Brick seinen Selbstekel greif- und fühlbar, bis es im Kopf „Klick“ macht und der Alkoholpegel die Gedanken ausschaltet, ganz wie seine Mutter die Kerzen. In der leidenschaftlich-wütenden Konfrontation zwischen Vater und Sohn, im Ringen um Lüge und Wahrheit, Krankheit und Tod, besticht Foerster in dem verzweifelten Versuch, den cholerischen Patriarchen abzuwehren, der den einzigen Menschen, dem er liebevoll zugetan ist, in Grund und Boden brüllt.
Leiser, und dadurch offener für Zwischentöne, agiert er mit Sandra Bezler, deren „Katze“ Maggie wahrlich katzengleich durch die Handlung gleitet. Sie bebt vor nervöser Anspannung, ist verführerisch und anschmiegsam, wenn es ihrem Ziel dient und fährt, vor allem ihrer Schwägerin gegenüber, ziemlich scharfe Krallen aus. Bezler spielt die junge Frau, die von Liebe und Habgier angetrieben bis zuletzt ihrer verlogenen Strategie folgt, so glaubwürdig, dass man ihr für einen Moment fast eine Schwangerschaft wünscht.
Ganz im Gegensatz zu der sprichwörtlichen Katze, die selbstverständlich springt, sobald das Blechdach zu heiß ist, lässt Tennessee Williams Margaret in der Hitze ausharren, wie alle seine Figuren sitzt sie fest in dem verlogenen Netz aus gesellschaftlichen Normen und der eigenen Identität, die diese Normen so sehr verinnerlicht hat, dass sie sich darin auflöst. Williams’ Drama legt den Finger in die Wunde der gekünstelten Bigotterie, was in den USA der Fünfziger mit dem Thema „Homosexualität“ sicherlich noch mehr provozieren konnte, an Aktualität aber trotzdem nicht verloren hat:
Das Team um Regisseur Behnke und Dramaturgin Barbara Bily inszeniert eine Katze auf dem heißen Blechdach, die aufzeigt, dass es egal ist, ob es inzwischen eine „Ehe für alle“ gibt und Frauen sich auch jenseits von Mutterschaft verwirklichen können. Es spielt auch keine Rolle, ob Brick nun tatsächlich schwul ist oder nicht; einen Ausweg aus den falschen Fremd- und Selbstbildern gibt es für ihn nur in dem „Klick“ in seinem Kopf. Als konsequenter Schritt bleibt nur der Tod und so steht auch Big Daddy am Ende König-Lear-gleich im Regen: Die Dickdarmkrämpfe sind in Wahrheit natürlich unheilbarer Krebs.
Die Lautstärke und Knalleffekte konnten nicht immer über gewisse Längen in den Dialogen hinwegtäuschen, trugen aber zu einem mitreißenden Theatererlebnis bei, dass das Premierenpublikum mit anhaltendem Applaus honorierte, der zwar verzögert, aber letztendlich auch in Standing Ovations mündete.