Denk ich an Deutschland…
Das Studio im Jungen Schauspiel wird über Eck bespielt: in der einen die Zuschauer auf langen Bänken - dicht gedrängt, damit keiner draußen bleiben muss am Premierenabend - in der anderen die Bühne. Vier gestufte Plateaus, darauf türhohe Stahlrahmen, deuten ein Haus mit seinen Wohnungen an. Im Hintergrund eine schwarze Fläche, auf der im Laufe des Abends Spielräume mit weißer Kreide aufgezeichnet werden. Blitzschnell entsteht ein Wohnzimmer mit Bücherregalen oder auch ein Klo, wenn gerade die Rede davon ist. Und überall Flaschen, große und kleine, und jede Menge Gläser; kein Wunder, denn ganz offensichtlich wird hier gefeiert: die Hausbewohner treffen sich zum Kennenlern-Fest. Aus einer Luke im Boden tauchen sie auf, tanzen und lachen, verbreiten Partylaune. Am Ende sind es vier Männer und vier Frauen, jung und alt, schwarz und weiß, schlank und üppig; dabei zumindest fünf von ihnen aus fremden Ländern und Kulturkreisen. Doch alle, da kann man sicher sein, sind Bürger*innen der Stadt Düsseldorf, denn was wir hier sehen, ist eine Produktion der Bürgerbühne des Düsseldorfer Schauspielhauses, bei der die Acht - unter professioneller Regie - sich selbst spielen. Oder nicht? „Keiner spielt sich selbst! Oder vielleicht doch?“ rufen sie ins Publikum und dann verraten sie Erstaunliches von sich, ihrem Leben und Lieben. „Es war einmal ich…“ beginnen die mal anrührenden oder bedrückenden, mal heiteren Sentenzen aus den Biografien der Einzelnen. Dazwischen immer wieder Party-Szenen. Dabei durchziehen Anmache, Sex und Liebesleben wie ein roter Faden fast alle Geschichten - vielleicht mehr als nötig. Aber auch ganz alltägliche Kränkungen, Missverständnisse und Unterschiede werden benannt und in Spielszenen aktualisiert. Tabubruch ist dabei angesagt. So renommiert der Rumäne Marius mit mindestens vierzig Affären und der Freizügigkeit deutscher Mädchen vor dem Syrer, der Sex mit Liebe verbinden will. Der wiederum demonstriert seine Einstellung zum Alkohol, indem er alle Flaschen und Gläser aus den Zeichnungen an der Wand entfernt. Toleranz ist doch wohl anders. Dafür aber zitiert er Heine und zeigt so, dass er - obwohl erst seit zwei Jahren hier - schon dazugehören will. Und die wunderschöne Iranerin Nazli, die erklärt, dass ihre Landsmänninnen „entweder verheiratet oder Jungfrauen“ seien, verschwindet dann doch mit dem „Biodeutschen“ Maximilian in der Luke im Boden. Die charmante Nurdan im eleganten Cocktailanzug berichtet voll Humor von den Aufklärungsversuchen ihrer türkischen Mutter, wobei diese Geschichte lebhaft an die Schmetterlingsvergleiche unserer Vorfahren erinnert.
Es gelingt der Regie von Bianca Künzel und Alexander Steindorf Authentisches und Vermutetes, Kurioses und Nachdenkliches flott auf die Bühne zu bringen; und den acht Darstellern, uns mit ihrem furiosen Spiel anzurühren und zu unterhalten.
Am Ende bleibt - trotz aller Unterschiede und Eigenheiten - doch ein starkes Gefühl der Gemeinsamkeiten: „Yes, we feel the same!“ schien das begeisterte Publikum den glücklich strahlenden Akteuren zuzurufen.