Romeo und Julia im Köln, Schauspiel

Ein Lächeln besiegt den Tod

Die zahllosen gläsernen Drehtüren sind endgültig zum Stillstand gekommen. Das Spiel um Liebe und Tod ist aus. Und zugleich eine der schönsten, vor allem auch die stillste Szene des Abends zu Ende. Julia, im blutroten Umhang in todesähnlichen Schlaf versetzt, liegt nicht, sie steht. Ein Bild großer Eindringlichkeit, ein strahlendes Symbol, traurig und liebevoll zugleich. Romeo kommt hinzu, legt von hinten seine Arme um die nur scheinbar Tote - und stirbt an dem Gift, das er schluckte, um ihr im Tode nahe zu sein. Sein Kopf neigt sich in ihren Nacken. Eine Geste der Liebe. Dann erwacht Julia, lächelt verzückt, fühlt die Umarmung, glaubt glückselig an die ersehnte Vereinigung. Erst spät spürt sie, dass Romeo tot an ihr hängt, ihre Liebe unvollendet bleibt. Romeo stürzt schließlich auf den Boden - und Julia wandelt die Bühnen-Rampe entlang, als ginge sie ans Ende dieser Welt. Tieftraurig hält sie inne, lockert ihre Gesichtszüge - und beginnt zu lächeln. Sie lebt weiter. Licht aus, Ende der Aufführung.

Aber nicht das Ende einer großen Liebe. Mit dieser Schlussszene in Romeo und Julia schuf die erst 30-jährige Pinar Karabulut im Depot 1 des Kölner Schauspiels ein wunderbar optimistisches Bild für Liebe, die über den Tod hinausgeht. Überhaupt ist ihr mit ihrer nicht selten gegen den Strich gebürsteten Inszenierung eine Aufführung gelungen, die sich als äußerst gelungene Verbindung kühl-eleganter Künstlichkeit mit Gefühls-Explosionen sowie zärtlichsten Szenen erweist - und überzeugt. Fern jeder Gefühlsduselei oder gar des Kitsches zeigt sie ein feines Gespür für Bilder und Szenen.

Kühl, verkünstelt, überkandidelt. So beginnt der Abend. Die breite Spielfläche ist eine Ansammlung von über einem Dutzend parallel und hintereinander gestaffelten gläsernen Drehtüren, Glaswänden und daraus resultierenden Spiegelungen. Neun Personen bewegen sich, jede einzeln, aber im gleichen Rhythmus, in einer der Drehtüren. Sie bieten ein Bild karnevalesker Maskeraden. Verona erinnert hier an Venedig. Eine Grande Dame gibt den Ton vor, der dickbäuchige Clown ist dabei, der Harlekin lebt auf, Fantasie-Tiergestalten halten mit im gesellschaftlichen Rhythmus. Aus diesem Rahmen puren Vergnügens fallen nur zwei Figuren heraus: Schwarz gekleidet und kaum erkennbar, erweist sich das Paar als das Liebes-Duo, das die tiefe Feindschaft ihrer Familien, der Montagues und Capulets, beenden könnte.

Nach diesem kunstvoll-verkünstelten Beginn, auch Bild für die Formelhaftigkeit des Lebens in beiden Adelsfamilien, gerät die Welt schnell ins Schwanken. Gebannt, wie träumend bewegen sich Julia und Romeo unendlich langsam aufeinander zu. Sie küssen sich - und der Bann ist augenblicklich gebrochen. Julia (Kristin Steffen), keineswegs das liebe und verschüchterte Mädchen, springt ihrem Romeo (Thomas Brandt) in die Arme, umschlingt seinen Körper mit ihren Beinen. Sie flippt geradezu aus vor Vergnügen, Lust und Begeisterung. Eine Julia, die schreien kann wie eine Straßen-Göre, um wenig später die zärtlich Liebende zu verkörpern. Dabei verhindert auch das oszillierende Bühnenbild Bettina Pommers jede falsch klingende Gefühligkeit.

Gegen mögliche Mantel- und Degen-Romantik kämpfen die Szenen erfolgreich an, in denen sich Tybalt (Nikolaus Benda) aus der Sippe der Capulets und Mercutio (Simon Kirsch) aus der der Montagues bis auf den Tod bekämpfen. Wie ein Schattenkampf wirkt ihre fetzige Auseinandersetzung zwischen Glastüren und spiegelnden Wänden. Wenn schließlich, begleitet vom köstlichen Frage-Spiel um Lerche und Nachtigall, das nächtliche Liebesgeflüster des Paares nur verbal zu vernehmen ist, ihre Körperlichkeit im Wust der Spiegel und Glasflächen nur zu erahnen ist, sind Ruhe und Zärtlichkeit dieser und anderer Szenen Gegenpole zur rüden Sprache der Straße und der Künstlichkeit der Herrschenden. Da ist Karabuluts Regie der sowohl zupackend-rauen wie zartfühlenden Übersetzung des Shakespeare-Stückes durch Gesine Danckwart mehr als nahe.

Der Applaus ließ ahnen, dass die zweieinhalbstündige pausenlose Aufführung begeistert, aber auch nachdenklich zurückließ. Dank der Regie und des mitreißend agierenden Darsteller-Teams.