Übrigens …

Sand und Asphalt. Geschichten von Flucht im Moers, Schlosstheater

Mensch werden

Es gibt viele Projekte zur Flüchtlingskrise an den Theatern in den letzten zwei Jahren, nicht nur in Nordrhein-Westfalen. Nicht alle gelangen, hatten über das gesellschaftliche Engagement hinaus Haltung und eigenständige Ästhetik zu bieten. Am überzeugendsten gerieten dabei stets die Projekte, bei denen es gelang, aus der vielen Menschen Angst machenden Masse auf dem Papier einzelne Menschen hervortreten zu lassen, die man verstehen, denen man begegnen konnte. Sand und Asphalt am Schlosstheater Moers schafft genau das mit außergewöhnlicher Intensität.

Es gibt keine Bühne und keinen Zuschauerraum. Eine Tischreihe schlängelt sich durch das schlanke Gewölbe des Theaters. Das Publikum wird aufgefordert, auf deren einer Seite und auf den Stuhlreihen dahinter Platz zu nehmen. Die 14 Frauen aus dem Vorderen und Mittleren Osten und Westafrika setzen sich gegenüber hin. Aus ihren Schicksalen und Sichtweisen, Ängsten und Hoffnungen hat Barbara Wachendorff den berührenden Abend montiert. Sie geht dabei sehr behutsam vor, dekliniert kurze, einfache Formate auf der Bühne durch und zwingt, das ist klar ersichtlich, keine ihrer Spielerinnen, sich an allen diesen Kurzperformances zu beteiligen. Es gibt ein Frage- und Antwortspiel, eine Reihe von Einzeilern über das Leben in Deutschland, eine Reihe von Kurzspielanleitungen an die Moerser Schauspielerin Magdalene Artelt fast wie in einer Improshow. Sie soll Klischeevorstellungen von der „deutschen Frau“ auf die Bühne bringen. Das zeigt klug und unaufdringlich, dass sich jeder bewusst zwingen muss, über Klischees hinaus zu gehen, wenn er dem Fremden wirklich begegnen möchte. Immer wieder werden einzelne Geschichten von Flucht erzählt, offensichtlich nicht immer von dem Menschen, der sie erlebt hat. Durch alles hindurch scheint die Perspektive der Frau. Diese 14 Frauen sind nicht nur auf Grund von Krieg und politischer Verfolgung geflohen, sondern auch und vor allem vor Männern. Sie wollen ein eigenes Leben, nicht mehr von keinem Gesetz geschützt, geschlagen, gefoltert, gegen ihren Willen beschnitten werden, nicht mehr ausschließlich da sein, um das Leben von Männern und diese selbst zu bereichern. Das vermittelt sich und es trifft.

Dabei läuft Sand und Asphalt in wunderbar warmherziger Atmosphäre ab. Am Anfang und zwischendurch noch einmal gibt es Tee für alle, dazu leckere Bulgurbällchen und süßes und pikantes Gepäck. Es wird getanzt und gesungen, fröhlich, auf hohem Niveau. Am Ende folgt noch einmal die Ein-Satz-Folge über das Leben in Deutschland, die 80 Minuten vorher, nach einer kurzen musikalischen Improvisation mit Teebechern und -löffeln das Spiel eröffnet hatte. Und dann erhebt sich gerade die junge Dame, die uns vor allem mit ihrem nahezu perfekten, gelebten Deutsch beeindruckt hat, und sagt: „Wir wissen, wir sind hier sicher. Aber sind wir willkommen?“ Und das Licht erlischt.