Übrigens …

Der Liebe Lust, der Liebe Schmerz im Bochum, Schauspielhaus

Shakespeares Sonette – bildgewaltig und nie „out of date“

Karsten Riedel, selbstständiger Musiker, Komponist und Produzent, ist in der Theaterwelt schon lange kein Unbekannter mehr. So arbeitete er als Bühnenmusiker mit Matthias Hartmann schon zu dessen Bochumer Zeit zusammen (unter anderem bei Ivanov), mit David Bösch in Essen (Woyzeck) und in der letzten Spielzeit wieder mit Hartmann in Düsseldorf (Michael Kohlhaas).

Jetzt entwickelte Riedel den literarisch-musikalischen Abend Der Liebe Lust, der Liebe Schmerz. Shakespeares Sonette, in denen der Dichter die Liebe in all ihren Facetten und Widrigkeiten beschreibt, stehen im Mittelpunkt. Ergänzt werden sie durch Werke von Dylan Thomas und Frank Wedekind.

An jedem dieser Abende kommt ein Gast hinzu, so Johanna Eiworth bei der Premiere. Sie gehört seit dieser Spielzeit zum Bochumer Ensemble. Mal rezitiert sie einen Text, so unter anderem aus Wedekinds Frühlings Erwachen, um dann in einen Wechselvortrag mit Karsten Riedel zu verfallen. Bisweilen trägt sie Texte in Deutsch vor, die im englischen Original gesungen werden. Einmal tritt sie in einem elisabethanischen Kostüm auf, um aus einem Brief von Dylan Thomas‘ Frau Caitlin zu lesen, die vom Betrug durch ihren Mann berichtet.

Manchmal hat dieser Abend etwas von einer Probe. Das gehört jedoch zum Charakter der Inszenierung und ist durchaus gewollt. So zu Beginn, wo Karsten Riedel bei noch nicht gelöschtem Saallicht scheinbar spontan mit dem Publikum plaudert. Im Zentrum der Bühne steht ein leicht abgewrackt aussehendes Klavier für Karsten Riedel. Christoph König (Geige, Bratsche) und Nils Imhorst (Kontrabass) flankieren es. Riedel gelingt es, Shakespeares emotionale Dichtung in ebenso mitreißende Songs zu übertragen, die er vorträgt und sich dabei selbst am Klavier begleitet, wobei er zwischen englischem Original und deutschem Text wechselt. Shakespeares Zeilen sind heute so berührend und gültig wie zu ihrer Entstehungszeit. Sei es, der Dichter preist die Schönheit des Sommers, der nicht dem Winter weichen soll (Sonett No. 6), sei es das Sonett No. 19 über die Unsterblichkeit der Jugend oder No. 42, in dem er die Untreue der Angebeteten reflektiert. Wie immer bei Shakespeare muss auch das Thema der Sterblichkeit seinen Platz haben, das ihn fesselte (No. 15, „When I consider“). Dylan Thomas, dessen Worte „They are already dead, who did not love“ so treffend den Abend umreißen, passt hier wunderbar hinein. Er war - so berichtet Riedel, den das Leben der Dichter fast mehr interessiert als ihr Werk - mit seiner Frau Caitlin fast nur in Pubs zu finden. Sie zerstörten sich zwar gegenseitig und dennoch war es eine große Liebe. Wenn sein „The sun burns the morning“ zum Vortrag kommt, fallen viele weiße Blätter vom Bühnenhimmel, ein beeindruckendes Bild. Frank Wedekinds „Tantenmörder“ gibt der Inszenierung eine makabre Prise: „Ich stech ihr den Dolch in die Därme“.

Insgesamt nur gut neunzig Minuten, die wie im Fluge vergehen. Faszinierend die Vielfalt der Präsentation dieses mitreißenden, großartigen (Bühnen-)Musikers, der mühelos von Walzerklängen zu Punk, von sanften, melancholischen Liedern zu rhythmischen Songs wechselt.

Eigentlich müsste man sich weitere Vorstellungen mit anderen Gästen anschauen.