Aus der Film-Kneipe ins Detmolder Landestheater
Wieder mal nimmt das Landestheater Detmold einen Film als Vorlage für eine Inszenierung: Soul Kitchen, ein „Stück nach dem vielfach prämierten Kultfilm von Fatih Akin“; und einmal mehr fragt man sich, warum ein Theater - anstatt einen von zahlreichen guten Theatertexten zu inszenieren - es sich antut, den traurigen Abklatsch von einer Geschichte auf die Bühne zu bringen, die für ein ganz anderes Medium entwickelt worden ist.
Rezensenten haben den Film über den „Kampf der Soul-Kitchen-Belegschaft (und ihrer Gäste) gegen die Gentrifizierung“ einen „Heimatfilm“ genannt. Akin selbst bezeichnet sein Werk mal als „modernen“, mal als „dirty Heimatfilm“, mal als „Komödie mit Hamburger Lokalkolorit“ und stellt es bewusst auch in den Dienst des Protestes gegen die fortschreitende Vernichtung gewachsener Hamburger Bausubstanz, konkret gegen den Abriss des historischen Gängeviertels: Die kleine Kneipe als „Heimat“, als „Ort, den es in einer zunehmend unberechenbaren Welt zu schützen gilt“.
Natürlich lässt sich diese Hamburg-Atmosphäre nicht auf die Detmolder Bühne bringen. Aber man darf Petra Mollérus zugestehen, dass sie ersatzweise ein aussagekräftiges Bühnenbild entwickelt hat: eine Billigkneipe, mit „eigenhändig vom Sperrmüll gesammeltem Mobiliar“. Der handwerkliche Clou: später genügen ein paar Handgriffe, um dieser Mischung aus WG-Küche und Abstellraum ein gesundheitsamt-kompatibles Edelstahl-Ambiente zu verleihen.
Schwieriger ist es zweifellos, die zweite Ebene des Films auf die Bühne zu übertragen: die Zerstörung der „Heimat“ in einer sich globalisierenden (sich auflösenden?) Umwelt. Das ist in Detmold allenfalls in Andeutungen gelungen - was den Machern wohl auch bewusst war. So erklärt Regisseurin Sarah Kohrs, anstatt hansestädtisches Lokalkolorit abzubilden, wolle sie sich „auf die Menschen konzentrieren“ und so „eine rasante Komödie mit subtilem Witz über Überlebenskünstler mit dem Herz am rechten Fleck“ zu inszenieren. Und ja: so schlecht ist ihr das gar nicht gelungen! Auch wenn sie arg hastig, manchmal geradezu slapstickartig, durch die Geschichte hetzen, und dabei dennoch viel Inhalt (und Personal) abstoßen muss.
So verläuft die Entwicklung von der pleitebedrohten Schmuddelkneipe zum angesagten In-Lokal derart hopplahopp, dass man nur staunen kann. Nur weil eine Hinterhof-Band jetzt dort übt („sonst ist ja eh keiner da“)? Wieso sollte der Stammgast, der eben noch vehement sein ehrlich-mieses 08-15-Schnitzel gefordert hat, nun plötzlich das teure aber ebenso miese Bluff-Food des Angeber-Kochs bestellen? Und der Bandscheibenvorfall des Wirts? Im Film wird der von der Physiotherapeutin Anna behandelt und schließlich von einem türkischen Dr. Eisenbart („Knochenbrecher“) geheilt. Auf der Detmolder Bühne gibt’s eine spontane Wunderheilung; der Knochenbrecher kann gestrichen werden, ebenso wie die hübsche Anna, welche von Akin doch als neue Freundin des Wirts vorgesehen war. Aber egal - dann muss eben die alte Freundin bleiben (was wiederum deren neuen Partner verzichtbar macht…).
Was bleibt? Kohrs Versprechen, sich „auf die Menschen zu konzentrieren“. Ja, und das macht sie ganz gut! Es sind ja schließlich auch herrliche Typen, die in dieser Kneipe aufeinander treffen. Und die Detmolder Schauspieler geben alles, diese skurrilen Figuren angemessen zu verkörpern! Allen voran Henry Klinder und Markus Hottgenroth. - Hottgenroth glänzt hier als schüchterner Loser, als stotternder Pantoffelheld. Und Klinder gehört als ewig-abgebrannter Stammgast ins Soul Kitchen wie die „Schildkröte“ zu Dittsche, ist allerdings sehr viel eloquenter, sozusagen ein wiederauferstandener Büchmann: zu allem und jedem hat er das passende Zitat, mal von Sokrates, mal von Hegel, mal von Camus und immer gerne von Shakespeare („Ist es auch Wahnsinn…“). Spontanen Szenenapplaus erhält er allerdings für ein Fake: nämlich dann, wenn er den - für’s Soul Kitchen programmatischen - Spruch „Oft verliert man das Gute, wenn man das Bessere sucht“ einer gewissen „Dr. Angela Merkel“ zuschreibt (in den gängigen Quellen steht als Urheber der italienische Schriftsteller Pietro Metastasio Bonaventura, 1698-1782).
Auch die andern Darsteller überzeugen: Adrian Thomser als migrationshintergründiger und pechverfolgter Wirt Zinos; Hartmut Jonas als (anfangs vielleicht zu schriller) fieser Immobilienhai; Jürgen Roth als Edel-Koch im Ninja-Outfit und Nicola Schubert als… äh… ist es sexistisch, sie als „Bürostute“ zu bezeichnen? … na gut, sagen wir einfach: als Finanzbeamtin. Kathrin Berg und Hubertus Brandt machen die aufkeimende Liebe zwischen der Kellnerin und dem kleinkriminellen Bruder des Wirts zum Kabinettstückchen (da vergisst man fast, dass auch hier der Übergang von der gegenseitigen verächtlichen Ablehnung doch arg plötzlich gekommen ist). - Selbst die Statisten (Ralf Kramer, Tilman Capelle) überzeugen als saufende und zockende Kleinkriminelle, die man sich auch gut als Hakenfinger-Jakob oder Münz-Matthias vorstellen könnte…
Noch mal zurück zum „Kampf um die Heimat“. Dass diese Ebene so ganz außen vor bleiben sollte, schien auch den Detmolder Theatermachern unerträglich. Deshalb machten sie das Thema wenigstens zum Schwerpunkt der Einführungsmatinée, mit der das Landestheater sein Publikum auf eine bevorstehende Premiere einzustimmen pflegt. Üblicherweise findet die außerhalb der heiligen Theaterhallen statt, an einen Ort, der „irgendwie“ zum Stück passt - wobei das „irgendwie passen“ gerne auch mal zur bösen Ironie werden darf, so, wie in diesem Fall, wenn Soul Kitchen im volksbankeigenen „Haus der Immobilie“ präsentiert wird.
Ausgerechnet da wurde also die bescheidene Kneipe „Soul Kitchen“ in den großen globalen Zusammenhang gestellt, wurde dieser „verstaubte Ort“ befragt auf seine Tauglichkeit als (Ersatz-)Heimat für die (Arbeits-)Nomaden, auf seine Eignung als „Schutzzone“ für die Modernisierungsverlierer, als Gegenmodell zu den „adaptiven Cities der Zukunft“ mit ihren „einheitlich gestylten Convenience-Food-Quadern mit überall identischem Service und Geschmack“.
Man mag dann schon etwas enttäuscht sein, wenn die Inszenierung die Erwartungen nicht erfüllt, welche die Matinée geweckt hat. Aber: man kann (und sollte!) im Programmheft die Quintessenz aus der Matinée nachlesen, im Beitrag des Dramaturgen Christian Katzschmann über „die Kneipe als Wohlfühlort und Schutzzone“. Wenigstens Katzschmanns Schlussappell sei hier zitiert:
„Wir haben es selbst in der Hand, das Besondere, Originalität und Würze zu erhalten… bleiben wir neugierig, lassen wir uns die ‚verstaubten‘ Orte zugunsten von trendigen Allerweltsangeboten nicht nehmen! Wenn Sie reale Kneipenheimaten retten wollen, dann gehen Sie doch nach dem Vorstellungsbesuch mal wieder in Ihr Lieblingslokal vor Ort; dem, und der Stadt tut es gut.“