Übrigens …

Don Quijote im Köln, Theater im Bauturm

Mitreißende Szenen aus dem Land der Fantasie

Er hat Mut. Reizen ihn doch bislang schon Schwergewichte der Weltliteratur. Don Carlos stellte er auf die Bühne und war mit ihm erfolgreicher Gast bei den Mannheimer Schillertagen, Romeo und Julia liebten und starben unter seiner Regie am Münchner Volkstheater, und seine Jungfrau von Orleans wirkte, lebte und starb an der Berliner Volksbühne. Dabei erhielt er sein Regie-Diplom, verliehen von der Hochschule Ernst Busch zu Berlin, erst im Mai dieses Jahres.

Nun wagte sich der erklärte Klassiker-Liebhaber, gemeinsam mit zweien seiner ebenfalls gerade erst in Berlin graduierten Schauspieler-Kollegen, an keinen geringeren Stoff als den des „Ritters von der traurigen Gestalt“. In achtzig Minuten verlegte Kieran Joel seinen Cervantes auf die schmalen Bretter des ebenso kleinen wie längst bestens etablierten „Theaters im Bauturm“ in Köln.

Und was er mit seinem Darsteller-Duo auf die Bretter bringt, ist ein theatralisch-darstellerischer Hochgenuss. In einer Inszenierung, die sich auf schwindelerregenden Pfaden bewegt. Ohne jede Scheu vor Witz, Selbstironie, ja geradezu halsbrecherischen Cervantes-Variationen stößt das Trio den Autor vom Sockel und erhebt ihn gerade deshalb in die Sphäre grandioser Dramatik.

Die Klassik wird gleich zu Anfang sowohl veralbert, verulkt wie ernst genommen. Unser Ritter, noch keineswegs einer „von der traurigen Gestalt“, springt und rollt sich über eine Spielfläche, die von Büchern nur so überquillt. Aus ihnen holt und saugt unser späterer Held all seinen Mut, sich in die Welt purer Fantastik zu werfen. Ein Wirbelwind im schmalen Körper von Felix Witzlaus, dessen Vitalität dem seiner Fantasie in keiner Weise nachsteht. In einer grandiosen Mixtur aus Frechheit, Witz und Verleugnung der Wirklichkeit.

Wenn sich Don Quijote schließlich auf die Suche nach einem „Knappen“ macht, nach Sancho Pansa also, spielt er sich mitten ins Publikum und lockt einen scheinbaren Besucher auf die Bühne, der sich natürlich  als Schauspieler entpuppt. Als grandios erweist sich auch die Idee Kieran Joels, auch Don Quijotes Ritter-Gegner ins Publikum zu zaubern. Das geschieht auf eine derart spielerisch-leichte, verführerisch–komische und ganz und gar nicht peinliche Art, dass der Abend schon Kult–Züge erhielt, als er noch gar nicht so recht bei Cervantes und seinem Ritter angekommen war.

Wenn dann Knappe Sancho, von Maximilian Hildebrandt zunächst voller Zurückhaltung neben dem „Herrn Ritter“ in Szene gesetzt, dessen Tun als reine Fantasie entlarvt, indem er seinen eigenen Realismus dagegen setzt, ist die Aufführung auf den Punkt gebracht. Sieht er doch „niemanden“, während es vor des Ritters Augen nur so vor Abenteuer– Szenen und erlauchten Rittern wimmelt. Selbst des Ritters Dulcinea, ein Mann aus dem Publikum, ist reine Fiktion. Alle Szenen sind so humorvoll gestaltet, dass auch die hinzugefügten Begebenheiten die Wirkung des Abends noch steigern. Was ist dagegen Kölscher Karneval: bürgerliches Spießertum.

Umwerfend, weil vor Selbstironie nur so triefend, sind auch die Zwischenszenen, die nur aus Worten, Satzfetzen und Dramaturgengeschwätz bestehen und zwischen den Spielszenen, in völliger Dunkelheit, eingespielt werden. Es sind vermeintlich reale Probengespräche, falsche Schmeicheleien und Diskussionen aus Worten und Satzfetzen. Wenn Kieran Joel uns mit diesen verbalen Einspielungen weismachen wollte, dass alles so geprobt wurde wie wir es sehen, glaubt man das – oder lässt es bleiben. Es passt so oder so bestens ins Bild des Abends.

An einem Abend, der alle Wünsche erfüllt, die man an das Theater hat: unbändige Lust auf mehr. Jubel über Jubel. Sehr zu recht. Allein Sancho Pansas, alias Hildebrandts Auftritt mit einem Kinder-Windrädchen und der Bemerkung, dass „bislang die Windmühle“ ja noch gar nicht angespielt worden sei, ist von derartiger Situationskomik, dass man einfach nicht anders kann als diesen Abend zu lieben. Wie ein Kind das Spiel mit dem Windrad.