Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel im Theater Münster

Schauerliches Warming-Up

Frau Margot weigert sich, ihre Uhr umzustellen. Zeitverschiebung? Das interessiert sie nicht, denn Richtig und Falsch sind Kategorien, deren Inhalt sie gewohnt ist, selbst zu bestimmen. Und auch Frau Imelda und Frau Leila haben innerlich ihre Uhren nicht umgestellt. Drei Gattinnen, drei Mittäterinnen ihrer Diktator-Ehemänner wähnen sich immer noch auf dem Höhepunkt ihrer Macht, obwohl Exil längst ihre Lebenswirklichkeit ist. Welch Gelegenheit, sich selbst produzieren zu können, bietet da diese große Pressekonferenz, die die Verfilmung ihrer Lebensläufe einläuten soll. Da kann, da muss man der Welt doch noch einmal zeigen, wer man ist.

Auf diesen großen Auftritt soll Simultandolmetscher Gottfried die drei Damen mit dem großen Ego vorbereiten. Dieses Warming-Up ist das Zeitfenster, in dem Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel spielt. Und Theresias Walsers Text bietet den Akteurinnen und auch Gottfried alle Möglichkeiten, sich voll zu entfalten. Da ist einfach jeder Satz perfekt in ein großes Gefüge eingesetzt. Mögen es vielleicht auch ein paar Sequenzen zuviel sein, ein paar Zuspitzungen sich wiederholen: Im Ganzen hört sich Walsers Stück an wie eine Partitur. Motive entfalten sich scheinbar parallel, kommunizieren kurz und driften dann wieder auseinander, unterbrochen von beherrschenden Soli, die alles andere in den Hintergrund drängen. Wortgewaltig rücksichtslos lässt Walser drei Egomaninnen sich ausleben, denen jeglicher Realitätsbezug abhanden gekommen zu sein scheint. Oder wissen sie um die Wirklichkeit und verbiegen sie bewusst?

Es ist an der Regie zu verhindern, dass Ich bin wie Ihr, ich liebe Äpfel auch angesichts Textpassagen wie einer Diskussion um kugelsichere Büstenhalter ob ihrer Abstrusität nicht abgleitet ins Boulevardeske. Oder gar sich in die Behäbigheit intellektueller Parlando-Komödien zurückzieht. Frank Behnke weiß um diese Klippen und umschifft sie ganz wunderbar. All die ebenso monströs wie platt-komisch daher kommenden Statements der Ladies integriert er in Nina Walters eher schäbig-nüchternen Garderobenraum und nimmt ihnen damit jede herausgestellte Extrovertiertheit, sondern generiert so etwas wie Alltag. Auch nimmt Behnke sich in eigentlich essenziellen Charakteristiken seiner Regiehandschrift zurück. Er verzichtet auf viel Bewegung und große Aktionen auf der Bühne – abgesehen von waghalsigen „Yoga-Übungen“ auf einem Rednerpult. Stattdessen ist er so klug, sich auf seine Darsteller zu verlassen, lässt ihnen genug Freiraum, ihre Charaktere zu entfalten. Und Theresia Walser hat ihnen genug Material an die Hand gegeben, um sich wirklich „austoben“ zu können.

Und das tun alle. Jonas Riemer ist Gottfried, der Übersetzer. Er klebt verzweifelt an Frau Margot, hängt geradezu an ihren Lippen. Später stellt sich heraus: Er ist in der DDR aufgewachsen und will Erklärungen für sein Leben dort und die Repressionen. Er nutzt seine übersetzerische Freiheit zuerst um Frieden zu stiften und tritt letztlich in den Streik und sagt nichts mehr. Riemer entfaltet den Gottfried zuerst herrlich naiv und dann immer bewusster und subversiv.

Ulrike Knoblochs Frau Leila ist wahrscheinlich der Welt am weitesten entrückt. „Ich nehme mein Land mit mir“, verkündet sie. Und sie will es dem Volk nach ihrer Wiederkehr zurückgeben. Bis dahin schreibt sie Gedichte und trauert dem Verlust ihrer Edelsteine nach, an deren Mitnahme ins Exil sie empörender Weise gehindert wurde. Knobloch breitet diesen scheinbar logischen Wahnsinn bestrickend aus. Imelda (Marcos) hat sich immer als Kunstfigur inszeniert. Mit ihrer Darstellung wollte sie die gute Landesmutter geben. Ein Geschöpf, das sich in Luxus badet, keine Schwierigkeiten damit hat, ihr Volk auszusaugen und gleichzeitig Fürsorglichkeit zu inszenieren. Regine Andratschke wechselt gekonnt von einer Pose in die nächste ohne sich auch nur einmal aus der Ruhe bringen zu lassen. So etwas wie Gewissen gibt es bei ihr nicht. Das gilt auch für Claudia Hübschmanns Margot Honecker. In NVA-Grau gekleidet hält sie mit brutaler Deutlichkeit daran fest, dass ihr Weg zum Sozialismus immer noch der einzig gangbare ist. Hübschmann stellt das präzise wie exakt-schmerzlich dar.

Frank Behnkes Ich bin wie Ihr, ich liebe Äpfel breitet grausam Gedankengut völlig der Realität entfremdeter Potentaten aus, enthüllt aber zugleich viele Ursachen der Politikverdrossenheit heutiger AfD-Wähler. Gefeiert wird die Premiere zu Recht