Präsidentinnen in kleinstbürgerlicher Wohnküche
Für dieses Stück, in dem drei Frauen um einen Küchentisch sitzen und reden, bräuchte man eigentlich gar keinen Regisseur - so hieß es in der Besprechung einer Wiener Inszenierung der Präsidentinnen (nachtkritik). In Paderborn hat Intendantin Katharina Kreuzhage die Arbeit der erkrankten Regisseurin Marie-Sophie Dudzic fertiggestellt; dazu leistet man sich auch noch zwei Dramaturgen. Viele Köche? - Aber nein, die haben den Brei nicht verdorben, sondern uns - um das Fazit vorwegzunehmen - einen kurzweiligen und amüsanten Abend beschert.
„Nicht aufführbar“, lautete dagegen vor einem Vierteljahrhundert das Fazit des Wiener Burgtheaters, als der rund 30jährige Werner Schwab dieses Stück zum ersten Mal dort einreichte. Welch ein Irrtum! Heute, da Die Präsidentinnen wieder auf dem Spielplan der „Burg“ stehen, schwärmt man dort: „Wie ein Komet erscheint Werner Schwab zu Beginn der 90er über der österreichischen Dramatikerlandschaft“. Aber wie das mit Kometen so ist: sie verschwinden so schnell, wie sie gekommen sind. Der Brachialkünstler, der in den 80er Jahren aus Tierkadavern „verwesende Skulpturen“ geschaffen hatte, wurde am Neujahrstag 1994 tot aufgefunden, mit 4,1 Promille Alkohol im Blut. Zu Tode gesoffen, mit 36 Jahren.
Nicht verschwunden sind seine Werke (Meine Leber ist sinnlos, heißt eines). Außer in Wien und in Paderborn sind Die Präsidentinnen in dieser noch jungen Spielzeit zum Beispiel in Bonn und Kassel zu sehen, in der Vorsaison liefen sie in Potsdam, Münster, Bremen, Innsbruck, Trier …
Was Ende der 1980er Jahre Hauptgrund für die Ablehnung war, gilt heute als das eigentliche Faszinosum von Schwabs Stücken: seine Sprache, diese Sprache der ungebildeten Lebens-Philosophen, eine karge und bilderreiche Sprache, gespickt mit stimmigen Fehlern, voller logischer Absurditäten.
„Primitive realistische Dialoge, durchbrochen von obszöner Phantasie. Durch mangelndes Sprachvermögen des Autors wirkt vieles unfreiwillig komisch“ - so hieß es damals am Burgtheater. „Unfreiwillig komisch“? Komisch auf jeden Fall. Jetzt, in der Paderborner Aufführung, begann das Publikum in der ersten Minute zu kichern. Und dieses Kichern hielt an bis zum Ende, nur immer mal wieder kurzfristig erdrückt vom Ekel, von der Peinlichkeit, angesichts des hier ausgesprochenen Unsäglichen.
Ja - bald schon wurde damals Schwabs Sprache hochgejubelt, als „kleine-Leute-Sprache“ gepriesen, als „Schwabisch“ kanonisiert. Kluge Sprachwissenschaftler machten sich darüber her, sezierten sie, psychologisierten und soziologisierten … - Schwab selbst bot dafür reichlich Material, zum Beispiel im Vorspann unseres Stückes: „Die Sprache, die die Präsidentinnen erzeugen, sind sie selber“. Diese Behauptung hätte man in dem absurden Kontext belassen können, in den der Autor sie gestellt hat („Das Stück handelt davon, dass die Erde eine Scheibe ist“). Aber nein, mit Hilfe sprachphilosophischer Spitzfindigkeiten hat man diesen Satz aufgeblasen zur wissenschaftlichen Abhandlung, wonach „die Sprache“ die eigentliche Person des Stückes sei, die drei auftretenden Figuren nur „Sprachkörper“ seien, also so eine Art Ausblühungen der Sprache (heute würde man sagen: Avatare) ohne eigene Persönlichkeit.
Hält man solch akademische Klugscheißerei (Entschuldigung! Aber im Kontext dieses „Fäkaliendramas“ möge der Kraftausdruck ausnahmsweise erlaubt sein) schon beim Lesen des Stücktextes für „einen Schmarrn“, so wird sie völlig obsolet, sobald man Die Präsidentinnen auf der Bühne sieht, wenn Schauspielerinnen aus Fleisch und Blut den Personen Persönlichkeit verleihen. In Paderborn sind das Maria Jordan als Erna: „Mindestpensionistin“, deren Leben um zwei Pole kreist: ihre naiv-bigotte Kirchengläubigkeit und ihren fanatischen Geiz („Statt einen Kaffeefilter kann man auch ein Klopapier nehmen. Und ich erspar mir den Kaffee ja überhaupt, weil zum Glück vertrag ich einen Kaffee ja gar nicht“). Beide Pole kulminieren in der Person des Wottila Karl, eines Schlachters polnischer Herkunft und Objekt von Ernas schwärmerischer Liebe: zum einen bietet er den Leberkäs konkurrenzlos billig im lebenslänglichen Dauersonderangebot an, zum andern wurde er durch eine Marienerscheinung von den irdischen Allerweltslastern Rauchen und Trinken kuriert (für die Jüngeren: Karol Wojty?a war der zivile Name des charismatischen polnischen Papstes und Marienverehrers Johannes Paul II., der zur Entstehungszeit der Präsidentinnen ungefähr die Hälfte seiner 26-jährigen Amtszeit hinter sich hatte).
Josephine Mayer als Grete: „Pensionistin“, die „Lustige“ der Gesellschaft - gemeint ist: „die Lüsterne“. Sie träumt ihrer Jugend nach, die promiskuitiv gewesen sein könnte. Jetzt pflegt sie ihr Begehren zu sublimieren: „… dann kauf ich mir eine Braunschweigerwurst und einen Emmentaler, dazu Gurkerl und ein Flascherl Bier, und schon bekommt das Leben wieder ein friedliches Gesicht“; wieweit sie ihre geliebte „Lydi“, ihren Dackel, in die Sublimation einbezieht, bleibt der Phantasie überlassen.
Nancy Pönitz als Mariedl: die Jüngste und die „am ärmlichsten gekleidete“; der Name - ein Diminutiv von Maria - verweist auf die „Jungfrau Maria voller Gnade, der Herr sei mit Dir“; aber vor allem ist Mariedl eine heilige Johanna der verstopften Abortschüssel, die ihre tiefste, geradezu religiöse Befriedigung darin findet, den feinen Leuten ihre verstopften Klos zu reinigen, und zwar mit bloßen Händen: „Die Mariedl machts auch ohne …“: auch ohne Gummi, also ohne Gummihandschuhe: „Mich würgt es halt auch wirklich überhaupt nicht, wenn ich hinunter greife in die Muschel, ich opfere das auf für unseren Herrn Jesu Christ, der für uns am Kreuze gestorben ist.“
Schon recht unterschiedliche Typen also. Und nicht nur Typen, nein, zumindest hier in Paderborn darf man von Charakteren sprechen, die von den Darstellerinnen gekonnt gestaltet werden, insbesondere durch ihre Körpersprache: perfekt, etwa, wie Nancy Pönitz mit kleinen Gesten den unterdrückten Eifer der Mariedl immer weiter anschwellen lässt, bis der sich endlich Bahn bricht. Und Josephine Mayer erhält begeisterten Szenenapplaus für ihren orgiastischen Bericht über einen (nur in ihrer Phantasie existierenden) Heiratsantrag.
Und diese drei sitzen nun - gegenüber den 99 Sitzplätzen des „Studios“ - in einem winzigen Guckkasten, der neben Platz für einen kleinen Küchentisch und drei Stühle gerade noch ausreichend Raum bietet für eine handfeste Rauferei. Die Bühne (nach Schwab „eine kleinstbürgerliche Wohnküche, bis an die Decke“ ordentlich vollgestopft mit „viel religiösem Kitsch“ und prekariatärem Plunder) ist hier gähnend leer, einzige Ausstattungsstücke sind ein kleines Kruzifix an der Wand und der gebraucht gekaufte Primitiv-Farbfernseher.
Hier drin spielt sich die ganze Handlung ab, quasi statisch: Die drei sind zusammen gekommen, um im Fernsehen eine Papstmesse zu verfolgen; anschließend sitzen sie noch am Tisch und führen ein Alltagsgespräch (sparen, essen, Kindersorgen …). In der zweiten Szene mutiert die Unterhaltung zunehmend zu einzelnen Monologen; der Traum vom besseren Leben beherrscht die Gedankenwelten, wobei alle drei nicht an die Möglichkeit einer Verwirklichung zu glauben scheinen, denn sie sprechen darüber nicht mehr in der ich-Form sondern in der dritten Person. Dabei bleiben die Wünsche alltäglich: drehen sich um neue Ehepartner oder um - naja, sagen wir mal: - berufliche Anerkennung.
Die Behauptung des „Statischen“ wird nicht dadurch widerlegt, dass es gegen Ende zur Katastrophe kommt: dass zwei Präsidentinnen die dritte umbringen. Wie auch in anderen Schwab-Stücken üblich: am Schluss sind sie alle wieder da. Der Autor hat dafür eine „dritte Szene“ vorgesehen, in der alles - mit einem Theater im Theater und jüngeren (!) Schauspielerinnen - wieder von vorne losgeht. Diese dritte Szene habe ich allerdings noch nie auf einer Bühne gesehen. Meist wird sie ersatzlos gestrichen. So auch in Paderborn.
Oder?
Ein Regisseur hat auf meine entsprechende Frage mal behauptet: „Wir spielen NUR die dritte Szene und nicht die erste und die zweite Szene!!!“ – Womöglich auch hier? Das wäre eine Erklärung dafür, dass die Paderborner Präsidentinnen sämtlich deutlich jünger und sehr viel attraktiver sind, als man es von Schwabs „alten Blunzen“ erwartet hätte.
Wenigstens die kirchenkritische Ballade, mit der Schwab seine dritte Szene einleitet, wird hier in Auszügen gesungen: als Schluss-Choral von den Präsidentinnen, anstatt von den dafür vorgesehenen „Original Hinterlader Seelentröstern“. Und da darf dann auch die Ermordete ihren abgeschnittenen Kopf wieder erheben und fröhlich mitsingen.
Und so kann anschließend das Premieren-Publikum unbeschwert applaudieren - lange und begeistert, so wie‘s die Aufführung verdient hat.