Brannndschutzz!
Bis zuletzt stand es, so war zu vernehmen, Spitz auf Knopf. Um ein Haar nämlich hätte das Schauspiel Dortmund die Premiere zur Rückkehr ins angestammte Haus am Hiltropwall verschieben müssen. Weil die Feuerwehr hier und da noch was zu mäkeln hatte in Sachen Brandschutz. Doch alles wendete sich zum Guten, Intendant Kay Voges durfte am 16. Dezember 2017, gegen 19.30 Uhr, vor den Vorhang treten und sich förmlich und offensichtlich ziemlich erleichtert bedanken bei jenen, die den Neustart wie geplant ermöglicht hatten.
Ein bisschen Spöttelei indes war auch dabei. „Eine unserer Neuerungen sehen Sie dort rechts“, erklärte Voges, den Blick auf frisch blinkende Ausgangspfeile lenkend. Ein Detail nur, zugleich aber Symbol für sämtliche nur erdenkliche Maßnahmen, die eben dem Brandschutz genügen müssen. Der Begriff allein, verbunden mit immer neuen oder aktualisierten Verordnungen und Vorschriften, mag fürs Schauspielensemble und nicht zuletzt den Intendanten zum Reizwort des Jahres taugen. Schließlich haben sich alle ordentlich daran abgearbeitet: In einer Folge des Goldenen Zeitalters etwa, jener tiefsinnigen, zugleich hochlustigen Revue über die ewige Wiederkehr des Gleichen, die mit jeder Ausgabe brandaktuelle Themen aufgriff, monologisierte Carlos Lobo als Feuerwehrmann wohl 15 Minuten lang zur Sache. In feinstem hessischen Dialekt und leichtem Nölton – eine nicht enden wollende Litanei. Das Publikum, direkt angesprochen, kringelte sich: „Ja ihr redet immer nur über das Theater, aber keiner redet über Brannndschutzz. Brannndschutzz auf der Bühne..., im Magazin, im Probensaal...“
Kein Wunder, dass nun, zur Wiedereröffnung, eine gewissermaßen feurige Doppelpremiere gefeiert wurde, Biedermann und die Brandstifter/Fahrenheit 451. Deren Ankündigung schon eine hübsche Stichelei ziert: „Ein Albtraum für die Feuerwehr“. Deren Realisierung indes einigermaßen skurril, beileibe nicht lustig, vielmehr von gehöriger Dramatik durchzogen ist. Was damit zu tun hat, dass Regisseur Gordon Kämmerer beide Stücke geschickt verzahnt. Sein Ansatz ist allerdings auch Produkt einer Notwendigkeit: Ray Bradburys dystopischer Roman Fahrenheit 451 über eine Diktatur, die systematisch alle Bücher verbrennen lässt, ist offensichtlich schwer für die Bühne umzusetzen. Die Dortmunder Fassung jedenfalls würde allein kaum tragen, zu dünn ist die Handlung. Wörtliche Textzitate verdeutlichen zudem, wie sehr das Buch von der Kraft der Sprache zehrt.
Sei’s drum. Kämmerer, der jüngst erst Ödön von Horvaths melancholische Wies’n-Tragödie Kasimir und Karoline als schrille, temporeiche Typenparade inszeniert hat, noch in der Ausweichspielstätte „Megastore“, hat das Schräge nicht aus dem Auge verloren. Und so sehen wir die Biedermanns (Vater, Mutter, eine Tochter) in Max Frischs Lehrstück um naive Gutmütigkeit denen gegenüber, die ganz offensichtlich zündeln wollen, zunächst als kalte Maschinenmenschen, die sich in sterilen drei Zimmern, Küche, Bad stumm ihren ewig gleichen Ritualen hingeben. Bis auf einmal etwas aus dem Ruder läuft, sich die heile Familienwelt als Farce entpuppt, wo Missbrauch und Suizidversuche das Bild trüben.
Später werden diese bisweilen ziemlich komisch wirkenden Bizarrerien zur serienreifen TV-Unterhaltung umgedeutet. Im tumben Fahrenheitland, wo niemand mehr lesen, denken, reflektieren darf, herrscht der Terror des billigen Konsums. Ein interessanter Kunstgriff, der Regisseur Kämmerer da gelungen ist. Andererseits: Ohne die Verzahnung hätten beide Stücke eher schwach dagestanden. Weil in der Deutung von Frischs Werk die finale Dramatik des Feuerlegens fehlt. Stattdessen legen sich die Brandstifter zu den Biedermanns ins Bett – Symbolik bloß mit eingeschränkter Wirkmacht.
Aus dem Ensemble ragt Ekkehard Freye als Biedermann heraus, bedächtig und ängstlich zugleich, der nichts falsch machen will und am Ende doch versagt. Ein eiskalt zynischer Gegenspieler ist ihm Björn Gabriel als Brandstifter Schmitz, dessen Unschuldslammposen frecher Kalkulation entspringen. In Fahrenheit 451 wiederum ist es Uwe Schmieder, der zunächst wunderbar naiv den Feuerwehrmanns Guy Montag gibt, der obrigkeitstreu Bücher verbrennt statt Flammen zu löschen. Der funktioniert, auf Kosten seiner Ehe, bis auch bei ihm, im positiven Sinne, eine Sicherung durchbrennt, als bei einem Einsatz eine Frau inmitten ihrer Bücher umkommt.
Schmieder, der in seinen Rollen oft zerbrechlich wirkt, sich dann ganz still in sich zurückzieht, schöpft hier aus dieser Ruhe die Kraft zur Menschlichkeit und Empathie, ja zum eindringlichen Aufbegehren: „Wir müssen lesen“. Sanft und anrührend bringt ihn Bettina Lieder (als junges, schwärmerisches Naturkind namens Clarisse McClellan) unter zartem Regenfall auf den Weg vom Zerstörer zum Bücherretter. Ein starkes Bild, wie auch die Schlusssequenz (Ausstattung: Matthias Koch) mit dem Geheimbund der Leser, die um ihren raffiniert illuminierten Tempel des gedruckten Wortes pilgern.
Nehmt alles nur in allem, ist der Abend gelungen. Vielleicht verfängt ja auch die Botschaft: Macht’s euch nicht bequem, lest und vergleicht, schmort nicht im eigenen Saft. Und auf dem Heimweg denken wir noch lang über das Theater nach. Der Brandschutz aber, der ist uns jetzt mal ziemlich wurscht.