Was uns der sprechende Rabe zu erzählen hat
Was hat ein großer blauer Luftballon mit einem Theaterstück über Auswandern, über Verreisen, über Flucht zu tun ? Den blies eine junge Frau kräftig auf vor den Augen der Zuschauer, die im Vorraum des Theaters warten mussten. Und stellte sich vor: Helena Aljona Kühn, geboren in Kasachstan, wo sie kaum gelebt hat, von wo sie aber in die Welt auszog und in Köln als freie Schauspielerin gelandet ist. Der Ballon wird zum Globus, sie malt darauf eine einfache Landkarte, versucht die Entfernungen auf der Welt und auch im All zu erklären. Vater Rabe, Mutter Erde, Schwester Stern und Bruder Schnee ist ihr Theater über Gehen und Bewegen, über das Verlassen der Heimat und dem Aufbruch ins Unbekannte. Sie hat ein „bewegliches Erzählstück“ geschrieben, basierend auf drei Märchen aus fremden Kulturen, wo die einen aus Neugier auf die Welt, die anderen aus der Not heraus weg gehen. Helena hat sich, wie sie bei der Premierenfeier berichtete, schon immer sehr für Märchen aus fremden Kulturen interessiert, aber anders als die von Grimm oder Andersen. So fand sie Geschichten aus Afrika, von den Eskimos, vom Fliegen ins Unbekannte und Neue, Stoffe, die gerade für Kinder sehr geeignet sind. Das Stück ist konzipiert „für alle ab acht Jahren“, wobei die Untergrenze schon recht niedrig angesetzt ist. Helena berichtete aber über die Nachmittagsvorstellung, dass die Kids sehr interessiert mitgemacht hätten, da sie dort mehr „haptische Elemente“ eingebaut hätte.
Im Gänsemarsch tappte die Truppe in den Theaterraum im originellen Kulturbunker „Kubus“ in Köln-Mülheim, einem ehemaligen Luftschutz-Hochbunker, der aber glücklicherweise nie als solcher genutzt werden musste. Nach dem Krieg als notdürftige Wohnung genutzt, war er als privates „Hotel Zapp“ lange Zeit kulturelles Zentrum der Gegend, wurde zur Zeit des kalten Krieges als Bunker reaktiviert und kam Mitte der 1980-er Jahre unter Denkmalschutz. Die Stadt wurde hier bei der Suche nach einem Kulturzentrum fündig, ein Trägerverein versuchte zunächst in Selbsthilfe das Nötigste zu organisieren, ein Architekturbüro schuf aus dem Gebäude ein universell nutzbares Objekt mit Büro- und Theaterräumen und einem großzügigen Café. Der Bunker wird heute vielfältig genutzt, auch von den in dieser Gegend zahlreichen türkischstämmigen Kölnern. Und halt von kleinen Theatergruppen. Ort der Aufführung waren drei nebeneinanderliegende längliche Räume mit Durchgängen und wenigen Sitzgelegenheiten, die aber auch bei 45 Minuten Spieldauer entbehrlich waren.
Zur Geschichte vom Vater Rabe war der Fußboden mit vielerlei Lichterketten ausgelegt, Helena „flog“ als sprechender Rabe mit einem kleinen Sperling über Straßen, über Berge und Krater ins Unbekannte, vom Himmel zur Erde, aus Neugier und Entdeckungslust, kam in einer anderen Welt an
Zum zweiten Märchen ging es in den Nachbarraum zu den Eskimos, zu Bruder Schnee in den Norden, über und über mit Luftpolsterfolien und einem Schneehügel ausgestattet. Die platzenden Folien ahmten wunderbar das Knirschen beim Gehen über den Schnee nach, von den Kindern begeistert nachgeahmt; die Geschichte spielte von Menschen, die sich in der Kälte verirrt haben und von Wölfen gefressen wurde. Schon etwas gruselig. Aber aus den Knochen waren neue lebendige Wesen entstanden, die von den Rentieren in ihre Gemeinschaft aufgenommen wurden; da war die Welt wieder in Ordnung. Unzählige bunte dicke Fäden hingen von der Decke im letzten Raum, symbolisch für die Landschaften und Wälder, durch welche die Menschen in Afrika vor dem Krieg fliehen mussten. Auch hier natürlich ein positives Ende, indem die Flüchtlinge sich untereinander anfreunden und gemeinsam ein neues Dorf bauen; natürlich dürfen die Kinder auch jeweils eines der Fäden mit nach Hause nehmen.
Helena Kühn hat den Text zusammen mit der in Köln sehr bekannten Theatermacherin Andrea Beikamp entwickelt; begleitet wurde sie von Ögünc Kardelen, einem Profimusiker und studiertem Opernsänger, der deutschlandweit ebenfalls vielfältig engagiert ist. Er hatte einen ganzen Strauß von Instrumenten, Trommeln und einem Glockenspiel zu bedienen, eine reizvolle Ergänzung zum gesprochenen Text. Die schauspielerische Leidenschaft von Helena spürte man in jeder Phase ihres Stücks, mit der sie die großen und kleinen Zuschauer in ihre Märchenwelt entführte; nach kurzer Zeit war man gefangen in ihrem Bann. Sie sagt von sich: „Die Heimat verlassen, weggehen, sich bewegen, wandern und reisen, ist mir irgendwie nah und berührt mich. Vielleicht weil ich selbst in einem anderen Land geboren bin, und einen gemischten Migrationshintergrund habe“. Die Zuschauer spendeten zu Recht begeisterten Applaus und diskutierten beim Premierensekt noch lange mit den beiden sympathischen Theatermachern.