„Es gibt ja nichts, was nicht mit Sex zu tun hat.“ Rachel
Nina Raine, Jahrgang 1975, ist Autorin und Regisseurin, Tochter des Dichters Craig Raine und der Literaturdozentin Ann Pasternak, einer Nichte von Boris Pasternak. Sie studierte Literaturwissenschaft in Oxford und inszenierte am Royal Court Theatre in London. Schon ihr Stück Rabbits – 2006 in London uraufgeführt - befasst sich mit dem Geschlechterkampf und ist eine Mischung aus Drama und Sex-Comedy im bürgerlichen Milieu. Eine Art Prototyp für Konsens, worin die Protagonisten zehn Jahre älter sind. Raine schrieb sieben Jahre an Konsens. Zu Beginn dieser Entstehungszeit stand das Thema „sexuelle Belästigung von Frauen“ noch nicht so im Fokus, wie es seit der „MeToo-Debatte“ der Fall ist. Raine besuchte, um sich in das Thema einzuarbeiten, mehrere Gerichtsverfahren in London.
In Düsseldorf kam Konsens als deutschsprachige Erstaufführung unter der Regie von Lore Stefanek zur Aufführung. Man könnte meinen, gerade zum rechten Zeitpunkt der aktuellen Diskussion - schaut man nicht auf die Entstehungszeit. Denn selten hat das Thema „sexuelle Gewalt gegenüber Frauen“ solche Schlagzeilen gemacht wie nach den schockierenden Enthüllungen aus der Filmbranche. Im Zentrum der intime Augenblick zwischen zwei Menschen, meist ohne Zeugen. Haben beide sich einverstanden erklärt, eben den Konsens gegeben? Oder liegt eine Grenzüberschreitung vor?
Im Mittelpunkt des Stückes stehen zwei Paare. Der Abend beginnt mit einer Party, sind doch Ed und Kitty gerade Eltern geworden. Jake und Rachel, beide Juristen wie auch Ed, schauen im schicken, noch nicht ganz fertig eingerichteten neuen Heim vorbei. Ein typisches Society-Treffen. Küsschen hier und dort. Man tratscht über Kollegen. Der Umgangston ist flapsig bis vulgär-aggressiv. Sowohl beim Lästern über Vorgänge bei Gericht wie auch in der Kommunikation zwischen den Paaren. Nicht verwunderlich, dass es bei weitem nicht so harmonisch zwischen den Ehepartnern bestellt ist wie zunächst vorgespielt. Jake (Thiemo Schwarz glänzt als egoistischer Macho) ging schon immer fremd, was er für sein gutes Recht hielt: „Leid tut es mir nicht. Leid tut mir, dass sie es rausgekriegt hat.“ Rachel (Cathleen Baumann) verlässt ihn deshalb. Auch Ed (bravourös Torben Kessler als egozentrischer Ehemann und Anwalt, für den Empathie ein Fremdwort ist) ist fremdgegangen, ohne sich einer Schuld bewusst zu sein. Kitty (Sonja Beißwenger) sieht das selbstverständlich anders und revanchiert sich mit einer Affäre mit Matt (Moritz Führmann), einem Single, der immer noch nicht die Richtige gefunden hat. Zu ihrem Mann sagt sie: „Ich wollte dich spüren lassen, wie es sich anfühlt.“ Neben diesem privaten Schauplatz lernen wir auch die „Arena“ vor Gericht kennen. Hier ist Matt Kläger und Ed Verteidiger. Gayle (Karin Pfammater spielt die Rolle des Opfers vor Gericht höchst intensiv und anrührend) wurde brutal vergewaltigt. Erschütternd, wie Ed ihre Worte verdreht und sie ihres Anspruchs auf Gerechtigkeit beraubt. Die Zuschauer sehen die Gesichter der Protagonisten in dieser Gerichtsszene auf große Leinwände projiziert, was Gayles Hilflosigkeit und Verzweiflung und Eds menschenverachtenden Umgang mit ihr noch betont.
Die Bühne erscheint riesig. Vielleicht zu groß. Die Schauspieler verlieren sich manchmal fast in ihr. Die Dialoge sind witzig-sarkastisch, oft durchaus sehr unterhaltsam. Und dennoch zieht sich der Abend dann und wann.
Trotzdem: Konsens gibt Anlass, über das Thema „sexuelle Gewalt“, auch in der Ehe, nachzudenken, zu diskutieren. So ist unklar, ob Ed nicht Kitty vergewaltigt hat bei dem verzweifelten Versuch, sie zurückzugewinnen.
Schon deshalb und auch dank des exzellenten Ensembles - hier ist noch Tabea Bettin zu nennen, die eine Singlefrau mit dringendem Kinderwunsch spielt - ist der Abend sehenswert. Kein Zuschauer wird das Theater verlassen, ohne sich weiter mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Und das ist leider viel zu selten der Fall,