Übrigens …

Nathan "to go" im Schauspielhaus Düsseldorf

Toleranz – nur eine positive Utopie?

Nathan der Weise, Lessing letztes, 1778/79 entstandenes Stück, spielt im Jerusalem der Kreuzritter. Lessing demonstriert in seinem „dramatischen Gedicht“, dass der innere Wert des Menschen nicht von seiner Religion und Abstammung bestimmt wird. Dementsprechend stellt er die Protagonisten in einen höchst komplexen familiären Zusammenhang. Alle sind Verwandte – ob Christ, Jude oder Moslem.

Nathan, der reiche Jude, nahm einst Recha an Kindes statt an. Der Tempelherr, der sie aus einem Feuer rettet, wuchs beim Bruder seiner Mutter, Curd von Stauffen, auf, ist aber ein Kind des früh verstorbenen Wolf von Filnek und seiner Gattin, einer von Stauffen. Ebenso wie Recha deren Tochter ist (Blanda von Filnek), die damit die Schwester des Tempelherrn ist. Ihrer beider Vater ist Asad, der sich Wolf von Filnek nannte und der verschollene Bruder des Sultans von Jerusalem ist. So haben Recha und der Tempelherr, Leu von Filnek, christliche und muslimische Wurzeln. Nathan, Rechas jüdischer Ziehvater, und Daja, die Gesellschafterin Rechas, eine überzeugte Christin, vervollständigen das multikulturelle, multireligiöse Bild.

Navid Kermani nennt Lessings Ansatz, zu seiner Zeit, also im Europa des 18. Jahrhunderts, Juden und Muslime auf die Bühne zu bringen, die den christlichen Akteuren an Weisheit und Güte ebenbürtig, ja zuweilen überlegen sind, einen provokanten Humanismus. Lessings Aufruf zur Toleranz ist heute so gültig und notwendig wie zur Entstehungszeit des Werkes. Toleranz heißt ja nicht nur Duldsamkeit, sondert bedeutet auch ein besseres Verstehen anderer Menschen, anderer Religionen, anderer Kulturen.

Robert Lehniger inszenierte Nathan „to go“ als mobile Produktion wie schon in der vergangenen Spielzeit Faust to go. Dieses Format setzt sich zum Ziel, auch theaterfernes Publikum zu erreichen. „Wir gehen mit dem Theater in die Stadt“, sagt Intendant Wilfried Schulz immer wieder. Theater als Anlass, sich auszutauschen, sich kennenzulernen, mehr über andere Kulturen und auch Religionen zu erfahren.

Es gibt drei Premieren. In der Bunkerkirche der koptischen Gemeinde in Heerdt, im Leo-Baeck-Saal der jüdischen Gemeinde in Golzheim und im Event Center in Benrath. Letztere Spielstätte schlug der Kreis Düsseldorfer Muslime vor. Die drei Veranstaltungen sind offen für alle Interessenten.

Lessings Stück wurde auf gut zwei Stunden gekürzt, was aber in keiner Weise seine Aussagekraft minderte. Videoeinspielungen, zum Teil vorproduziert oder auch live gedreht, reichern den Abend an und vermitteln intensive Bilder.
Jan Maak überzeugt als kluger Nathan, der trotz des grausamen Schicksalsschlags, der ihm Frau und sieben Söhne raubte, nicht seine Menschlichkeit verlor und klug gegen alle einseitigen Vorträge, wer wohl den wahren Glauben hätte, argumentiert Claudia Hübbecker ist die etwas engstirnige, aber liebevolle Ziehmutter Rechas (gut: Cennet Rüya Voß), die ihrerseits im christlichen Glauben das Heil sieht. Konstantin Lindhorst ist ein famoser Sultan, dem man seine Offenheit und Gesprächsbereitschaft sofort glaubt. Weitere Mitglieder des sehr engagiert spielenden Ensembles sind Florenze Schüssler, Jonas Friedrich Leonhardt, Yascha Finn Nolting, Markus Danzeisen und - im Video - Andreas Grothgar. Das aus wenigen Stangen und Vorhängen bestehende Bühnenbild wird flexibel eingesetzt und reicht völlig aus, um verschiedene Spielorte zu markieren.

Der Abend vergeht im Nu bei dieser sehr ansprechenden und klugen Inszenierung. Er wird hoffentlich noch viele Zuschauer im besten Sinne unterhalten und zum Gedankenaustausch anregen.