Rot im Köln, Schauspiel

Lehrstück künstlerischer Intoleranz

Es gab ihn wirklich, diesen Mark Rothko. 1903 im russisch dominierten Lettland geboren, kam der Sohn jüdischer Eltern zehn Jahre später in die USA, wo er sich zu einem der bedeutendsten Vertreter des „Abstrakten Expressionismus“ entwickelte. Bekannt machten ihn vor allem seine monochromen, ineinander verwobenen Farbflächen. Dem 1970 gestorben Maler widmet der US-Amerikaner John Logan sein Stück Rot, für das er im Jahr 2010 mit einem „Tony Award“ ausgezeichnet wurde. Jetzt brachte das Schauspiel Köln, in der äußerst respektablen Inszenierung von Melanie Kretschmann, das Zweipersonen-Stück, das in den 1950er Jahren angesiedelt ist, auf die Bühne seiner „Außenspielstätte am Offenbachplatz“.

Mies sieht er aus. Miesepetrig ist er, ein Nuschler, dem nichts in den Kram zu passen scheint. Strähnige Haare fallen ihm in den Nacken, ein brauner Cordanzug wirkt trist und das Kinn unrasiert. Er hängt, von Beginn an und auch später immer wieder, mehr in seinem tief liegenden Holzsessel als dass er sitzt. Hinter ihm eine zerknitterte Riesenleinwand. Sie könnte auch Requisit im Studio eines Modefotografen sein.

Die Stimmung ist genauso mies wie der zerknitterte Gesichtsausdruck dessen, dem Wolfgang Michael alle Mimik eines zutiefst Verbitterten mitgibt. Dabei steht Mark Rothko auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Gerade erst erreichte ihn das Angebot, in einem Luxus-Restaurant im neu erbauten „Seagram Building“ in New York eine ganze Wand für einen Preis zu gestalten, der nie zuvor einem Maler gezahlt wurde.

Das Blöde ist nur, und das verweist gleich zu Beginn auf die Doppelmoral des Künstlers: Er hasst schon jetzt zutiefst all die „Milliardäre und Millionäre“, die dereinst unter und neben seinen Bildern sitzen und für sündhaft teure Speisen blechen werden, ohne seine Kunst auch nur zu beachten. Dumpf quasselnde Kunstbanausen sind es für ihn: „Arschlöcher“.

Dass er am Schluss des Stücks und des Abends, als sei er plötzlich eingeknickt, den Auftrag zurückgibt und auf die 34.000 Dollar Salär verzichtet, verdankt er freilich kaum eigener Einsicht. Es ist Ken (sehr überzeugend: Elias Reichert), ein junger Eleve, Maler wie er und Bewunderer seiner Kunst, der den sowohl arrogant-hochfahrenden wie verbiesterten Meister zur Selbsterkenntnis geradezu zwingt. Ken, Vertreter einer jungen und eigenständig urteilenden Generation, hat ihm die Leviten gelesen und seine Doppelmoral um die Ohren geschlagen.

John Logan, 56, baut sein bis in feinste Verästelungen reichende Mikro-Drama zwischen zwei Künstlern, einem nach neuen Ufern drängenden, und einem arrivierten, gleichwohl verbitterten, dramaturgisch mitreißend auf. Der junge Ken, anfangs voller Bewunderung für seinen „Meister“ - vieles erinnert an Goethes Faust und seinen Schüler -, lässt sich durch dessen Theorien, seine Bedeutung und gleichsam apodiktischen Urteile über die „Konkurrenten“ lange Zeit einwickeln: Jackson Pollock? Naja, nicht schlecht! Lichtenstein und Rauschenberg? Kein Kommentar. Andy Warhol? Geschenkt! Ebenso Jasper Johns, für Ken ein ganz Großer. Für Rothko gibt’s eigentlich nur einen: ihn, Rothko.

Es dauert lange, im Stück drei Jahre, bis Ken die Last des ebenso egozentrischen wie stets beleidigt-verbiesterten Kollegen abschütteln kann. Menschliches kommt hinzu. Hat sich sein Meister, als dessen Angestellter er die Farben mixt, Leinwände herstellt, das tägliche Frühstück bereitet, Tag für Tag, je um das wahre Leben des jungen Kollegen gekümmert? Nichts dergleichen. Der selbstverliebte Künstler hockt in einem Kokon, aus dem heraus er seine Urteile fällt, der Arroganz die Zügel gibt - und nichts neben sich duldet. Galeristen sind arrogante Schweine, das Publikum dumm, die Käufer seiner Werke unter aller Sau. Die Welt des Mark Rothko ist kaputt.

Das wird zur Chance für Ken, dem, bei aller Bewunderung für die Rothko-Arbeiten, schließlich der Kamm schwillt, und nun mit jugendlichen Elan dem Alten gegenübertritt. Dabei geht es auch um die Balance Dionysischer Ausschweifungen und Apollinischer Klarheit in der Kunst, um Nietzsches „Geburt der Tragödie“ - und, nicht zuletzt, um die Käuflichkeit der Kunst.

Dazu fällt Rothko, angeregt durch Kens aufrüttelnden Zweifel am Absolutheitsanspruch seiner Kunst, am Ende eine geradezu philosophische Frage ein: „Werden meine Bilder mir das jemals verzeihen?“ Werden sie, ist zu konstatieren. Schließlich hat Rothko dank seines Schülers einiges von dem wiederentdeckt und begriffen, was er aus dem Blick verloren hatte.

Dem ungleichen, in seine Unterschiedlichkeit freilich bestens agierenden Duo ist, auch dank der zurückhaltenden und nicht zuletzt gerade dadurch sehr überzeugenden Regie der jungen Melanie Kretschmann, ein eindringlicher Theater-Abend gelungen.