Übrigens …

Quartett im Mülheim, Theater an der Ruhr

Große Liebe im Schatten der Lust

Einst war sie ganz real - die Lust, die Gier, die bis zur Neige ausgekostete Sexualität. Nun, nach einer langen Durststrecke, treffen sie sich noch einmal. Doch die Realität weicht der Fiktion, der bloßen Idee eines körperlichen Verlangens. Das Paar, das sich diesem Abenteuer stellt und gleichwohl wieder in der Realität endet, sind die Marquise de Merteuil und der Vicomte de Valmont. Adelige also, deren „Gefährliche Liebschaften“ Choderlos de Laclos vor bereits 236 Jahren in einem Roman erhitzt hat.

Ihren Zynismus, ihre Brutalitäten und Frivolitäten hat Heiner Müller in seinem 1982 uraufgeführten Quartett noch um einige Nuancen erweitert. Nun hat Roberto Ciulli, mittlerweile fast 84, in seinem Theater an der Ruhr dessen Bearbeitung als mitreißendes Vexierspiel und Seelen-Drama in Szene gesetzt.

Es beginnt zart und friedlich, wenn auch kunstvoll stilisiert. Einzelne Töne kommen aus dem Dunkel, ehe seitlich einfallendes Morgenlicht allmählich den Raum erhellt. Übersät von Papierblättern ist die Spielfläche. Fünf Stühle, wie hingeworfen, verlieren sich auf der weiten Fläche, zudem zahllose Damenschuhe. Am Rand dieser Szene die Marquise. Wie ein Kunstprodukt aus einer fernen Welt liegt sie rücklings, mit weißer Perücke, auf einem Rokoko-Stuhl, ehe sie in die Wirklichkeit tritt: Perücke ab - und das Spiel mit dem Vicomte kann beginnen.

Es wird ein Spiel, in dem beide immer wieder die Rollen wechseln, sich auf dem Boden nahe kommen, den Fantasien des jeweils anderen freien Raum lassen - und sich zu neuen, wenn auch rein fiktiven Gedankenspielen aufreizen. Valmont wird, angestachelt von der Marquise, deren jungfräuliche Nichte verführen. Dass beide in die jeweilige Rolle des anderen schlüpfen, ist dabei ebenso verwirrend wie dem Sarkasmus des Spiels entsprechend.

Dann brechen afrikanische Rituale in die adlig-manierierte Szene, wenn Valmont, in der Gestalt des schwarzen Nigerianers Jubril Sulaimon, die Marquise der Petra von der Beek beschwörend umtanzt. Eine Beschwörung, nach der er, dem Tod ähnlich, ein grellweiß geschminktes Gesicht hat, und sie, nun schwarz verschmiert, einem Skelett ähnlich ist.

Teuflisch wird es trotz allem nicht. Denn je länger das Spiel andauert, desto deutlicher wird, verbal, gestisch und inszenatorisch, dass sie in Wirklichkeit eine große Liebe verbindet - bis in den Tod. Einmal mehr zeigt sich darin der große Theater-Magier Roberto Ciulli, der trotz aller Tristesse und vermeintlich schamloser Brutalität der Hoffnung immer eine Chance gibt.