Die Spielverderber im Alanus-Hochschule Alfter

Misstrauen und Feindseligkeit

Im Gegensatz zur Uraufführung des Stückes 1967 in Frankfurt, wo es einen halbstündigen Tumult unter den Zuschauern gab und die Presse das Stück vernichtend kritisiert hatte (wirr, unverständlich, symbolüberladen und schrecklich pessimistisch) gab es bei der Aufführung in der Alanus-Akademie auch in der dritten fast ausverkauften Aufführung einen langanhaltenden jubelnden Beifall. Das Stück ist nach dem Frankfurter Desaster kaum auf einer großen Bühne gespielt worden, häufig jedoch von Theatergruppen und im Rahmen einer Schauspielausbildung. Michael Ende kritisierte die damalige Regieleistung, die Bühne und die Schauspieler ganz erheblich; dazu kam, dass er als „Kinderbuchautor“ ja wohl kaum seriöses Theater schreiben könne.

Unter den Akteuren gibt es keine Hauptrollen, sondern elf gleichberechtigte Schauspieler, von denen neun ein Erbe eines unbekannten Erblassers in einem geheimnisvollen Schloss antreten sollen. Sie alle bekommen vom Notar des Verstorbenen unregelmäßig zerrissene Zettel, die zusammengesetzt werden müssen, um einen Sinn zu ergeben; wenn ein einziger fehlt, funktioniert die Aktion nicht. Jeder einzelne muss zum Gelingen beitragen, jedoch breitet sich Misstrauen aus; alle vermutet beim anderen ein unfaires Spiel, die Sache ist schnell völlig verfahren, offene Feindseligkeit bricht aus. Nun beginnt das Schloss sich zu verändern, die Türen funktionieren nicht mehr, die Temperatur steigt. Allen ist klar, dass sie ihr Verhalten ändern müssen - aber das fordert jeder nur von den anderen. Keiner fühlt sich schuldig, so summieren sich Egoismus, Engstirnigkeit und Fanatismus; Feuer bricht aus und verschlingt alle. Und das Erbe? Gibt es nicht, der Erblasser ist ein Misanthrop, es ging ihm nur um das Vertrauen, welches die Erben untereinander schenken mussten, um das Testament lesbar zu machen. „Ungeheuer ist viel, aber nichts ist ungeheurer als der Mensch selbst“, dieser zentrale Satz aus der Antigone von Sophokles hängt über dem ganzen Stück.

Michael Schwarzmann, Schauspielprofessor und Regisseur an der Alanus-Hochschule hat zusammen mit seiner Frau Diana Breuer, die für die Masken zuständig war, das Stück kräftig gekürzt und zusammen mit den Schauspielschülern als Gruppenarbeit inszeniert. Der schlimme Schluss wurde allerdings ersetzt durch das Ende von Brechts Der gute Mensch von Sezuan, wo die Akteure aus ihren Rollen heraustreten und das Publikum auffordern, sich selbst den Schluss zu suchen. So auch hier: die Schauspieler steigen herunter ins Parkett, praktizieren die Überhöhung des Endes. Die Inszenierung von Schwarzmann läuft auf der denkbar einfachen Bühne: Die Schlitze zwischen raumhohen seitlichen Stoffbahnen funktionieren als Türen und zum Verstecken, im Hintergrund hängt ebenfalls eine Stoffbahn in ganzer Bereite, davor ein kleines Podest als Spielfläche und Versteck.

Das reichte aus für fast zwei Stunden hoch amüsantes Theater mit entzückenden Slapsticks und Artistik, mit stark physischem akrobatischem Körpertheater, präsentiert von famosen jungen Schauspielern, die noch mitten in der Ausbildung sind und mit ganz großartiger Spielfreude und Professionalität spielen, dass es eine schiere Freude ist; mehrere Dialekte vernimmt man in dieser Stegreifkomödie, amüsiert sich über das Spülmädchen Paula, die der alte Diener Anton Buldt, der emsig imaginäre Flächen besprüht, sie abwienert und dabei entstehende Quietschgeräusche köstlich nachmacht. Oder über die blinde Paula Bäuerin Anna Fenris, mit gemalter Zahnlücke, dunkler Brille und Krückstock, mit dem sie sich Respekt verschafft, und die heimlich doch sehen kann, mit einer bewundernswerten Komik in ihrer Körpersprache. Der General, mit starkem südländischem Aussehen und sehr zackig, verfällt immer mal ein wenig in die Hitler-Aussprache. Sämtliche Schauspieler können hier nicht einzeln bewertet werden, aber sie haben alle blendend gespielt und gesprochen; eine erfolgreiche berufliche Zukunft sei ihnen von Herzen gewünscht.

Alle Akteure tragen grüne Gesichtsmasken, jede ist anders, von den Schauspielern selbst hergestellt, angelehnt an die klassischen Figuren der Commedia dell‘arte, wie dem Dottore, dem Capitano, der Pulcinella, dem Pantalone, dem Arlecchino oder der Amorosa. Sie werden abgelegt, wenn die Figuren ihre tatsächliche Eigenart zeigen. Köstlich auch mehrere Kung-Fu-Kampfszenen und Ohrfeigen-Kaskaden, die bei perfektem Timing hervorragend choreografiert sind. Die „Commedia dell‘arte“ ist als „physical theatre“ ein Teil der Ausbildung für das dritte Semester, ist seit zehn Jahren im Programm mit Werken wie von Molière, Goldoni oder Aristophanes. Der Kurs umfasst zehn bis zwölf Studenten, er läuft seit 2008, die Nachfrage ist enorm.

Die beiden vorerst letzten Aufführungen sind am 15. und 16. Februar angesetzt, im Sommer wird es in der Bonner „Brotfabrik“ (siehe hier) noch einmal eine Aufführungsreihe geben; der Besuch ist wärmstens empfohlen.