Heute spielen wir Demokratie
Das Spiel beginnt an der Saaltür: jeder Zuschauer bekommt ein zigarettenschachtel-großes Gerät mit Zifferntasten von 0 bis 9 und wird damit zum stimmberechtigten Mitglied der zu erwartenden „außerordentlichen Bürgerversammlung“. Auf der Bühne demonstrieren mannshohe Buchstaben aus weißem Schaumstoff, worum es geht: „DUESSELDORF FIRST“. Diese Kolosse werden im Laufe des Abends die unterschiedlichsten Funktionen übernehmen, mal als Bauelemente für Türme oder „Rechte Ecken“, mal als Kuschelsofas oder auch Projektionswand für Abstimmungsergebnisse oder Sonstiges: ein toll funktionierendes Zusammenspiel von Licht, Video und Bühnenbild! Aber vorerst stehen sie da als satirische Anspielung auf Trumps protektionistischen Polit-Slogan.
Das weckt Erwartungen, legt die Latte hoch für die Relevanz Düsseldorfer Kommunalpolitik, sei es im Guten oder Bösen, assoziiert Ansprüche an Text und Dramaturgie, die dann - trotz vieler guter Ideen - nicht erfüllt werden.
Das Spiel beginnt mit einem rasanten Auftritt von hinten: von ganz oben schimpft und zetert ein aufgeregter junger Mann im eleganten blauen Anzug über Politiker, über Wähler, über uns alle im Saal, die wir das „Gelabere“ der Politiker viel zu ernst nehmen. „Ihr seid nichts außer kleine Ameisen, auf die man trampelt - euch hört keiner, euch sieht keiner, echt!“ Und dann fordert er uns auf zu gehen, den Saal zu verlassen, in dem gleich nur Verrücktes verhandelt werde. Temperamentvoll reißt er die Tür zum Flur auf, tänzelt, gestikuliert, ruft: „Sie können gehen!“ - für die Älteren im Publikum eine tolle Sammy Davis Jr. Replik, einst „the world’s greatest living entertainer“. Natürlich geht keiner, nur der quirlige Protestler Gedeon Mfebe verschwindet hinter der Bühne und wird erst ganz zum Schluss noch einmal auftauchen. Gedeon Mfebe - das ist sein wirklicher Name - ist im echten Leben angehender Schauspieler und hält auch nichts von der echten Politik. Und auch alle anderen Mitspieler, die dann auftreten und mitwirken bei der „außerordentlichen Bürgerversammlung“ stellen sich mit ihrem wirklichen Namen und ihren Engagements im politischen Alltag vor. Ein bisschen Expertentheater. Sie alle sind Düsseldorfer Bürger und nur für diese Inszenierung der „Düsseldorfer Bürgerbühne“ gecastet und engagiert. Unter professioneller Leitung - Regie, Dramaturgie, Technik - probten sie und brachten mit Spielfreude, Humor und Engagement ein Stück kommunalpolitischen Alltags auf die Bühne. Es sind die Praxiserfahrungen der elf Laien-Darsteller, die zu einer unterhaltsamen Revue zusammengefügt wurden. Oft sind es allerdings eher kuriose Bagatellen, die da verhandelt werden. So erstritten die Vertreter der Grünen, Tobias Reichelt und Edith Steuten, in ihrem Bezirk eine Babyschaukel und Radständer, die im Video vorgeführt werden. Ein anderes Mal versuchen sie gemeinsam mit den Vertretern der anderen Parteien - Michael Swoboda und Marvin Wittiber für die SPD sowie Marie-Catherine Meyer und Stephan Meyer für die FDP - die parkverkotenden Kanadagänse loszuwerden. So komisch wie real. Ernster wird es, wenn auf Antrag des Anarcho-Syndikalisten und bekennenden Anarchisten Aljoscha Leonard darüber verhandelt wird, ob und wie ungenutzter Wohnraum zu enteignen ist. Verfassungskonformität bleibt dabei allerdings außen vor.
Publikumsliebling am Premierenabend ist zweifellos die parteilose, alleinerziehende Sozialarbeiterin Britta Kollmann, die ihre prekäre Situation charmant darstellt und bei der Frage nach der Lebensqualität unserer Stadt für „unterirdischschlecht“ plädiert, während das Publikum, das zu allen echten und unechten Fragen per Handyklick seine Meinung sagen darf (Enthaltungen werden nicht registriert) mehrheitlich für „gut“ stimmt. Faszinierend, wenn auch nicht nachprüfbar, wie die Ergebnisse direkt auf das jeweilige zur Debatte stehende Projekt projiziert werden. Auch Zufallsbefragungen auf der Kö werden eingeblendet und sorgen für Heiterkeit, wenn niemand den Namen des OB kennt.
Unter TOP 9 - das Ganze wird in 12 Tagesordnungspunkten abgehandelt - erscheint schließlich in antikisierendem Gewand als Stargast ein leibhaftiger Ratsherr. Heute ist es Ulf Montanus von der FDP, an anderen Abenden kommen Vertreter der anderen Parteien. Er berichtet von seiner Aufwandsentschädigung, da fühle ich mich in der Volkshochschule. Spätestens hier wäre ein Verweis auf existenziellere Themen und wichtigere Aufgaben der Kommune angebracht gewesen.
Die folgende Parteikritik gerät dann allzu alltäglich, da fehlt jede Selbstironie, jede kabarettistische Distanz. Ebenso vermag die greise „Göttin der Demokratie“, die auf einen Rollator gestützt mit einer Adaption der Ringparabel die Freiheit interpretieren will, nicht recht zu überzeugen. Da verflacht das Ganze.
Trotz vieler witziger Szenen, offener Selbstkritik und Selbstironie sowie überzeugender Darsteller mit furiosen Einzelauftritten, trägt die Zwölf-Punkte-Struktur nicht bis ans Ende.
Dennoch: auf die abschließende Frage nach dem Zugewinn des Abends meinten 75 Prozent der Zuschauer, Neues erfahren zu haben über das Funktionieren von Demokratie. Sie dankten mit begeistertem Applaus.