Die Weber im Köln, Schauspiel

Wenn das Leben an Seilen hängt

An ihm scheiden sich nicht selten die Geister. Armin Petras, 53, der gerade seinen bis 2021 geltenden Intendanten-Vertrag in Stuttgart zum Ende der laufenden Spielzeit gekündigt hat, geht wieder auf die Walz.

Dass es am Neckar „Auseinandersetzungen mit der Stadt und dem Publikum“ gab, bekennt er in einem Interview mit dem „Kölner Stadt Anzeiger“. „Spannendes Theater“, so Petras, „hat immer Sehgewohnheiten gebrochen“. Und er erinnert an Pina Bausch, Frank Castorf und Einar Schleef.

Ob er auch in Köln diese „Sehgewohnheiten“ irritieren kann, sollte seine Inszenierung von Gerhart Hauptmanns Drama Die Weber erweisen. Ein Schauspiel (Uraufführung 1893), in dem kein Einzelner, sondern eine ganze Schicht der Gesellschaft zur „Hauptfigur“ gerät.

Welche Brisanz das Stück einst in sich barg, zeigt das ursprüngliche polizeiliche Verbot einer „öffentlichen Aufführung“. Kaiser Wilhelm II. war sich nicht zu schade, seine Hofloge im Deutschen Theater Berlin wegen der „demoralisierenden Tendenz“ des Stückes zu kündigen.

Man schreibt das Jahr 1844. Mechanische Webstühle und Import-Baumwolle jagen die Weber im schlesischen Eulen-Gebirge ins Nichts. Aus Handwerkern erwächst das Proletariat. Kapitalisten übernehmen das Kommando. Der Aufstand der Weber ist freilich kein gesellschaftlich verankerte Revolution. Es geht nur ums Überleben.

Wenn es dafür eines Beweises bedurfte - Petras hat ihn geliefert. Mit einer Inszenierung, die aus dem Vollen schöpft. Lautstärke, vor Kraft strotzende Szenen und mitreißende, alle Bedenken hinwegfegende Bildeinfällen lassen einen völlig neuen Hauptmann vor dem zunehmend staunenden Auge entstehen.

Erste Bedenken fallen angesichts überwältigender Bildsequenzen und choreografisch faszinierender Massentänze mehr und mehr in sich zusammen. Dabei geht es nicht um Feinheiten, nicht um fein ziselierte Szenen und Auseinandersetzungen. Es geht ums Ganze. Es geht um Leben und Tod, mit den geil-kapitalistischen Blutsaugern auf der einen und den kurz vorm Verhungern stehenden Webern auf der anderen Seite.

Aus den Fäden der Weber werden Seile der Inszenierung: Quer über die breite Bühne gespannt, trennen Sie ganze Welten. Wer da an einen riesigen Webstuhl denkt, liegt richtig. Bei Petras und seinem Bühnenbildner Olaf Altmann geraten diese Seile zu grandiosen Metaphern: Sie trennen, werden zu abenteuerlichen Klettergerüsten, halten Weber und Ausbeuter auf Distanz. Diese zunächst durchsichtige Wand zwischen Aktion und Publikum wird sich im Verlaufe des dreistündigen Parforceritts durch eine verlorene Welt mehr und mehr nach hinten neigen, bis sie zum Schluss am Boden liegt. Ihr zu entkommen, ist unmöglich. Sich ihrer zu entziehen ist keinem vergönnt.

Da helfen auch die gruppendynamischen, choreografisch bestens die Inszenierung durchziehenden und prägenden Bewegungstänze nichts. Kraftvoll geben Sie revolutionäre Aktionen vor, enden aber immer wieder in Einzelszenen, in denen die Weber ohnmächtig hängen bleiben. Dabei kommt es immer wieder zu Bildern in Zeitlupe, die nicht selten in gemäldeartige Tableaus münden.

Eruptiv wie der ganze Abend sind auch die verbalen Ausbrüche der Menschen. Zunächst nur um Hilfe und Geld bettelnd, werden sie sich ihre Möglichkeiten mehr und mehr bewusst, werden aggressiver - und fegen die Welt des kapitalistischen Fabrikanten Dreißiger samt seiner Mischpoke aus liebedienerischen Untergebenen und Kirchenvertretern hinweg.

Dabei entwickelt Petras immer wieder Szenen, in denen sich die Weber, ihre Frauen und Kinder, auf einer Linie bewegen. Wie ganz zu Beginn, wenn sich alle Akteure, in einen harten Rhythmus gebannt, in einer kämpferisch anmutenden Gesamtchoreografie bewegen, den Takt schlagen, Gemeinsamkeit vorgeben, um wenig später wieder zu vereinsamen.

So fremd sie scheinen, so passend fügt Petras in das Wut-Inferno und die Raserei der Menschen auch Bilder ein, die wie Ikonen für Aufstände und Revolutionen wirken. Für die Französische Revolution erblüht Delacroix‘ barbusig die Trikolore schwingende Marianne, die nackten Ärsche der Kommune 1 stehen für das Aufbegehren der 68-er Generation, und auch „Pussy Riot“ werden Bild - alles in blitzschnell entwickelten und kurzen Szenen.

Bleibt festzuhalten, dass Armin Petras mit diesen Webern eine Explosion aus Farben und Bewegungen, Bildern und Texten geschaffen hat. Mit annähernd 20 blendend agierenden Schauspielern, die in insgesamt 37 Rollen schlüpften.

Nicht allen gefiel der Abend. Einzelne Buhs konnten dem Beifall freilich nicht viel entgegensetzen. Auch wenn der, für Kölner Verhältnisse, äußerst zurückhaltend war.