Übrigens …

Der Herzerlfresser im Köln, Schauspiel

Herzen, zum Fressen gern

Beides ist verrückt. Der Spielort - und das Stück erst recht. Die „Grotte“, kleinste Spielstätte des Kölner Schauspiels, dessen Inneres an einen riesigen Container erinnert, in dem, wie zu Kriegszeiten im Luftschutzkeller, an die 50 Personen Platz finden, ist unter einem künstlichen Erdhügel begraben. In dieser Atmosphäre aus Blech, Metall und Bierbänken setzt des Österreichers Ferdinand Schmalz Stück namens Der Herzerlfresser noch eins drauf. Doch wohlgemerkt: was Positives, wenn auch verrückt Positives.

Nun ist freilich, um das als weitere verrückte Zugabe noch zu erwähnen, der Autor namens Schmalz alles andere als „schmalzig“. Doch selbst dieser Name ist eine Fiktion. In Wirklichkeit geht es um Matthias Schweiger, der 1985 in Graz in dieser verrückten Welt auftauchte. Dieser (echte) Name ist noch eine der Absurditäten dieses Abends. Denn dieser Schweiger lebt gerade von dem, was er nicht verschweigt. In Wahrheit redet er nämlich über alles, und das mit ausgeklügelter Raffinesse. In Klarschrift: Schmalz ist ein absurd-witziges Phänomen.

Doch endlich zum Thema. Zunächst zu den Lorbeeren, die diesem 32-jährigen Schmalz-Schweiger schon auf die Dichter-Stirn gedrückt wurden. Im Juli 2017 erhielt er den Ingeborg-Bachmann-Preis, bereits 2014 war er für die Kritiker der Zeitschrift „Theater heute“ Nachwuchs-Autor des Jahres, und selbst zu den „Mülheimer Theatertagen“ waren Stücke von ihm bereits zweimal geladen, 2016 und 2017.

Zurück zur Kölner „Grotte“, in der sich die Regie-Debütantin Alina Fluck an das 2015 in Leipzig uraufgeführte Stück Der Herzerlfresser wagte. Die 25-Jährige erwies sich dabei als kongeniale Partnerin des Österreichers, dessen metaphorische Fähigkeiten, aus kriminellsten Aktivitäten Positives zu kitzeln, knappe 60 Minuten Hirn und Herz der Zuschauer in Bewegung hielt. Denn der Herzerlfresser ist zwar einer, der es auf echte, auf blutrote Herzen abgesehen hat. Doch das „metaphorische Herz“, etwa das der Liebe, blitzt selbst in vermeintlich gruseligen Situationen auf.

Und die geben gleich zu Beginn den Ton an und die Bilder vor. Zwei Frauen-Leichen werden in einem Sumpfgelände gefunden. Herzlos, ohne Herz. Das war ihnen entnommen worden. In Alina Flucks Inszenierung sind die „Leichen“ freilich nichts als zwei kleine blutverschmierte Bündel, die unterm Container-Dach hängen - und mit spitzen Fingern heruntergeholt werden. Ein „Super-GAU“ ist das für den Orts-Bürgermeister (Philipp Pleßmann), soll doch zwei Tage später ein neues Einkaufszentrum auf diesem Mordgelände eröffnet werden. Was „Globales im Regional-Überregionalen.“ Pardon, aber Schmalz‘ Figuren reden halt so. 

Da verliert selbst unser Bürgermeister außer der Contenance auch noch seine „Mitte“. Nicht aber seine Überzeugung, dass, „wer glaubt, dass sich das Glück nicht kaufen lässt, noch nicht in unserem Center war“. Wie auch immer: Nachtwächter Andi (Nils Hohenhövel) wird sich, seinem Bürgermeister zuliebe, als Frau verkleiden und als Köder für den Herzerlfresser in die verrückt-groteske Geschichte werfen. Doch nichts ist dabei auch nur annähernd real. Nichts, was sich nicht in Kalauern und Wortspielchen aufzulösen scheint. Allein das Wort Herz wird in allen Bedeutungs-Möglichkeiten durch die Wort-Mangel gedreht. Mal „rutscht es in die Hose“, mal ist es „gebrochen“, dann wieder „geht es verloren“ oder wird gar „gestohlen“. 

Nur das reale Herz ist kaum von Bedeutung, bis ein Fremder, der Neubürger Herbert (Nicolas Handwerker), nicht nur zum großen Wortführer des Herz-Schmerz-Gesäusels wird - gegenüber Florentina (Elisa Schlott) -, sondern durch einen Schuss der Fußpflegerin Irene (Magda Lena Schlott) - man fragt sich weshalb - Herz und Leben verliert. Und erstmals sieht man Blut in dieser Grotte der Verrückten rinnen. Pech für den Fremden, der als einziger, wenn auch mit und hinter Schmalz'schen Tönen, so etwas wie Herzens-Liebe erkennen ließ.

Dass wir, die Zuschauer, bei allem Spaß die gefoppten Deppen in diesem Spiel der Groteske und ausufernder Fantasie sind, lässt die vielversprechende junge Regisseurin erkennen. Hatte uns doch das Darsteller-Quintett mit Schafsmasken empfangen und auch zwischendurch mit dieser Metapher gespielt. „Hast du Hunger?“, tönt es nach 55 Minuten. „Was Herzhaftes“, ist die Reaktion. Ein Schelm, wer da noch an die rausgerissenen Herzen des Anfangs denkt.

Herzhaft und deftig, grotesk und kunstvoll zugleich. Damit jongliert köstlich ein Quintett, dem die Regie die Richtung des „ver-rückten“ Autors mit auf den Weg gab. Großer, verdienter Applaus. Doch danach: nichts wie raus aus dieser blechernen Grotten-Welt.