Übrigens …

Aus der Zeit fallen im Mönchengladbach, Theater

Woher die Kraft nehmen, weiterzuleben?

Der israelische Schriftsteller David Grossmann, Träger des Deutschen Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2010, beschreibt in seinem Buch Aus der Zeit fallen auf eine überaus einfühlsame Weise, wie es ist, wenn eine geliebte Person stirbt. Insbesondere, wenn ein Kind vor den Eltern stirbt und so der natürliche Ablauf der Dinge auf den Kopf gestellt zu sein scheint. Grossmann verlor seinen Sohn Uri im Libanonkrieg. Der Text ist eine Totenklage und ein Loblied auf das Leben zugleich.

Dedi Baron, eine bekannte Regisseurin aus Israel, wo sie seit 2006 eine Professur an der Universität Tel Aviv hat, inszenierte eine dramatisierte Fassung von Aus der Zeit fallen im Studio des Theaters Mönchengladbach. Einem geradezu idealen Spielort für diese Arbeit, garantiert doch ein begrenzter Raum die intime Rezeption dieses wunderbaren Abends. Anrührend, bewegend, ergreifend. Weil die zentralen Fragen „Wie wird man mit dem Tod eines geliebten Menschen fertig?“ und „Woher nimmt man die Kraft, weiterzumachen?“ auf vielfältige Weise dem Publikum nahegebracht werden. Nah auch im wahrsten Sinne des Wortes, sitzen die Zuschauer doch unmittelbar an der Spielfläche.

In der Mitte der Bühne steht ein langer, rustikaler Holztisch. Darauf Gewürze und Kochzubehör. Die Frau (Eva Spott) zerschneidet einen Riesenkürbis. Der Mann (Bruno Winzen) wetzt zunächst ein Messer, dann hält er seinen Kopf unter den Tisch und spricht davon, wegzugehen. Nach „dort“, wo ihr toter Sohn ist. Und er beweint die „Melodie des früheren Lebens“. Seine Frau beschwört ihn, nicht aus dem Lichtkreis des Heims zu gehen: „Geh nicht zurück zu jenen Tagen.“ Eindrucksvoll der Schmerz um den Verlust des Sohnes (Vater: „Du bist aus der Zeit.“), der auch die Liebe zwischen den Eltern erschwert. Parallel dazu lernen wir ein zweites Paar kennen. Den Schuster (Felix Banholzer) und die Hebamme (Vera Maria Schmidt). Sie haben ihr noch kleines Mädchen durch Krankheit verloren. Am Tisch sitzt noch ein Schriftsteller, Zentaur genannt (Joachim Henschke). Auch er erzählt immer wieder eine Geschichte von Tod und Abschied und kommentiert das Geschehen.

Der Mann hält es nicht mehr aus, läuft immer wieder keuchend um den Tisch herum: „Unmöglich, so geht es nicht weiter…dass die Bäume in den Alleen grünen…“. Erst langsam begreift er, dass sein Sohn tot ist und kann sich widerstrebend damit abfinden: „Er ist tot. Ich weiß es.“ Zuweilen ist es fast unerträglich, den Schmerz der Eltern mitzuertragen. So wenn Eva Spott vor einem steht und sagt: „Das Kind verwest in der Erde.“

Dedi Baron, selber Mutter von vier Töchtern, sagte in einem Interview zu ihrer Inszenierung, sie habe das Kochen als Symbol für die erneute Lust zu leben gewählt. So wird im Laufe des Abends ganz nebenbei von der Frau gekocht, eine herrlich duftende orientalische Suppe. Auch der Duft dieser Speise berührt die Sinne. Ebenso wie die hebräischen Lieder, die gesungen werden. Zum Ende scheinen sich die fünf Personen mit dem Tod ihres Kindes abgefunden, ihn akzeptiert zu haben. Sie sitzen gemeinsam um den Tisch und essen die Suppe.

Die Zuschauer werden anschließend eingeladen, mit den Schauspielern zu essen. Eine wunderbare Idee, die zu diesem intensiven Abend passt.

Ein außergewöhnliches Theatererlebnis mit einem exzellenten Ensemble, das den unendlichen Schmerz und all die mit dem Tod verbundenen Emotionen intensivst vermittelt. Man sollte es nicht versäumen!