Invictus
„Plätzchen gefällig, oder eine Tasse schwarzen Kaffee?“ Eine Einladung zum gemütlichen Beisammensein spricht Der Reichsbürger aus. Und Sophia Debus hat ihm passend dafür ein Sofa auf die Bühne gestellt, dass die Klassifikation als „Gelsenkirchener Barock“ zu einhundert Prozent erfüllt. Eine Deko par excellence für einen, der sich völlig verrannt hat in eine Ideologie, der er bereit ist, bis zum Äußersten zu folgen. Und Regisseurin Julia Prechsl benötigt eigentlich nur einen Akteur, der bereit ist, sich in die Rolle des Reichsbürgers bedingungslos hinein zu steigern. Den hat sie mit Wilhelm Schlotterer gefunden. Wie der beginnt, harmlos zu plaudern, um sich letztlich als gefährlicher Waffennarr zu outen, das ist erste Sahne.
„I am the master, of my fate, I am the captain of my soul” - diese Zeilen eines Gedichts von William Ernest Henley ziehen sich wie ein Mantra durch Schlotterers Monolog. Absolute Selbstbestimmung wird über Gemeinwohl gestellt und die Fähigkeit, sich in ein Zusammenleben zu integrieren. Dieses extreme Einfordern von Autonomie - bis hin zum eigenverantwortlichen Schusswaffengebrauch - ist sein Credo
Annalena und Konstantin Küspert deklinieren das in ihrem Stück über 80 Minuten bis ins Feinste durch. Sie haben, das ist keine Frage, sich gründlich beschäftigt mit der Ideologie der Reichsbürger. Sie haben deren abstruse Gedankengänge und Rechtfertigungsherleitungen auf das Beste ergründet. Die belegen sie akribisch genau in ihrem Text. Und Wilhelm Schlotterer weiß diese Gedankengänge mit größter Selbstverständlichkeit zu transportieren. „Nichts als leeres Stroh“ wird Georg Büchners Hessischer Landbote zitiert. Und genau das ist es, was hängen bleibt beim Publikum. Wirre Gedanken eines Spinners, der in letzter Konsequenz auch bereit ist, Waffengewalt anzuwenden. Lacher, Gluckser sind die Reaktionen. Wirklich bedroht, geängstigt hat sich am Uraufführungsabend offensichtlich niemand. Dabei haben wir gerade wieder in den USA erlebt, wohin unkontrollierter Waffenbesitz führen kann. Dagegen wendet sich der Text des Autorenteams. Das wirklich Grauslige an der Ideologie der Reichsbürger deuten die Küsperts aber nur an: rechtsradikale und antisemitische Tendenzen. Und die sind es doch gerade, die das Fürchten lehren. Was herüberkommt, sind die furchtbaren Konsequenzen, die ein einsames sinnentleertes Leben haben kann.
Aber in toto ist der Abend eine lehrreiche, spannende Einführung in die sehr fremd wirkenden Gedankengänge eines Reichsbürgers. Die dramatische Umsetzung des Gefährlichen, Bedrohlichen hingegen gelingt nur bedingt.