Versöhnungsfinale gestrichen
Auf der tiefschwarzen Bühne schweben raumgreifend drei Riesenballons in Gelb, Blau und Rot. Sie schaffen bei leiser Wagner-Musik aus dem Off eine seltsam spielerisch surreale Atmosphäre schon bevor sich ganz hinten die Wand öffnet und eine Gruppe höchst skurril designter Figuren mit seltsam mechanischen Tanzbewegungen den Bühnenraum betritt: Die Frauen in hautengen hochglänzenden Latexkleidern, die Männer durch grellbuntes Plastik-Outfit seltsam anonymisiert. Dazu alle mit bizarren Plastikperücken, am dekorativsten die alte Dame Madame Pernelle (Karin Pfammatter) mit überdimensionalem silbergrauem Aufbau. Auf rosa Super-High-Heels, in auberginefarbenen Lack gepresst, stolziert sie über die Bühne und schwärmt in hysterischer Besessenheit von dem phantastischen Gast im Haus: Tartuffe. Obwohl der viel später erst - in unschuldig-weißes Latex gezwängt - erscheinen wird, erfahren wir gleich jetzt, was es über ihn zu wissen gilt: von Pernelle und ihrem Sohn , dem Hausherrn Orgon, mit einem Heiligenschein verklärt, wird der Eindringling von den anderen Familienmitgliedern und Bediensteten durchschaut. Sie fühlen sich bedroht und verdrängt von seinem dämonischem Einfluss, charakterisieren ihn als puren Heuchler, scheinheiligen Duckmäuser, eifersüchtigen Verleumder, dicken fetten Leisetreter, Tyrannen - Molière spart nicht mit krassen Zuschreibungen, die das Düsseldorfer Ensemble in grandioser Sprachvariabilität und Verständlichkeit bravourös in Szene setzt. Allen voran Claudia Hübbecker als Zofe Dorine, die sich immer wieder keck einmischt und ihre Ratschläge durch bizarre Gestik und Mimik zu einer grotesken Choreographie stilisiert. Alle Figuren bewegen sich am Rande einer karikativen Überzeichnung, ohne jedoch in Klamauk abzugleiten. Zwischendurch gibt es Atempausen im brillant gereimten Wortgefecht, dann kreist die Bühnenmitte als Drehscheibe, auf der die Spieler puppenhaft ruckend und zuckend oder zu Skulpturen eingefroren, als Karussellfigurationen einen Techno-Tanz aufführen.
Leise wird es, wenn endlich die frömmelnde Titelfigur (Christian Erdmann) auftritt und in schmieriger Geschmeidigkeit das ganze Repertoire seiner Blend-Mechanik - von Verführungskunst bis Speichelleckerei - durchspielt. Glänzend auch der Verführte (Torben Kessler) in seiner Rolle als naiv-ahnungsloser Orgon, der, hoffnungslos ausgeliefert der planvollen Bosheit und hypnotischen Schläue des falschen Freundes alles verliert. Erst als seine Frau angeflirtet wird von dem angeblich priesterlich keuschen Hausgenossen, wird der Ehemann hellhörig. In Ermanglung des von Molière vorgesehenen Tisches als Versteck für den Hausherrn während der provozierten Anmache, verkriecht Orgon sich auf dieser surrealen Bühne hinter dem roten, wurstförmigen Riesenballon, der zu diesem Zweck vom Bühnenhimmel herabschwebt. (Ein Narr, wer da nicht Schlüpfriges denkt!)
Orgon durschaut erschüttert die Scheinheiligkeit und betrügerische „Freundschaft“ (das Wort - immer mit grotesker Überdehnung ausgesprochen - provoziert während der gesamten Aufführung Lacher). Doch es ist zu spät. Alles ist verloren. „Der Mensch ist in der Tat nur ein gemeines Tier“, resümiert Orgon seine Katastrophe. Und obgleich Molière seinen Tartuffe in der heute allgemein gespielten dritten, mehrfach überarbeiteten Version aus dem Jahr 1669 (der einzig erhaltenen) mit einem von einer Komödie erwarteten Versöhnungsfinale enden lässt, verzichtet die Düsseldorfer Inszenierung auf dieses Deus- ex-Machina- Happy-Ending und lässt den Bösen siegen. Der darf Orgons Schlusstexte übernehmen und als Moral von der Geschicht’, fügen Regisseur Robert Gerloff und Dramaturg Robert Koaall noch eine dezente Aktualisierung an: „..heutzutage/mit dem Talent/wird man am Ende König oder Präsident./Wer schreit, hat recht…“. Im Programmheft wird Koall in seinen Gedanken über das Lügen deutlicher und verweist direkt auf Präsident Trump und die aberwitzige Einführung „alternativer Fakten“.
Gerloff stilisiert die Komödie zur grellbunten Farce und bringt sie mit einem glänzend gelaunten Ensemble spielerisch und sprachlich virtuos auf die Bühne. Doch bleibt alles recht erwartungsgemäß und eindimensional.
Bedenkt man, dass das Stück gleich nach der Uraufführung verboten und erst nach gründlicher Entschärfung vier Jahre später wieder freigegeben wurde - und das auch nur nach Intervention des theaterfreundlichen Königs – , so kann man erahnen, welche gesellschaftskritische Brisanz darin lag. Von dieser Radikalsatire ist in der Düsseldorfer Inszenierung nichts zu spüren. Sie bietet zwei Stunden gute komödiantische Unterhaltung – ohne tiefere Bedeutung.