„Die Familie ist eine Art Schicksal, dem man nicht entrinnen kann.“ Luchino Visconti
1969 kam Luchino Viscontis Film Die Verdammten in die Kinos. Die Geschichte einer Großindustriellenfamilie, den von Essenbecks, wird in Kontext gestellt mit Shakespeares Macbeth – verbunden durch das Thema „Leidenschaft zur Macht“. Nicola Badalucco, ein Kenner der deutschen Geschichte, arbeitete das Drehbuch mit aus. Auf seine Initiative hin wurde die Geschichte der von Essenbecks an den Beginn der Zeit des Nazi-Regimes gestellt, zwischen den Reichstagsbrand im Februar 1933 und der „Nacht der langen Messer“ im Juni 1934.
Regisseur Jan Neumann interessierte an dem Stoff, der über die Belange einer bestimmten Familie hinausgeht, die monströse Ausmaße erreichende Ungeheuerlichkeit privaten und politischen Handelns. So spiegelt seiner Meinung nach der Missbrauch in der Familie (Martin von Essenbeck missbraucht zwei junge Mädchen, fast noch Kinder, eines davon ist ein Familienmitglied) den politischen Machtmissbrauch der Nazis wieder.
Der dreistündige Abend beginnt mit einem eindrucksvollen Bild. Die durch große, rostfarbene Quader dominierte Bühne wird von einem Feuerwerk erleuchtet, das sofort an die Hochöfen der Region denken lässt. Es ist das Jahr 1933. Der alte Baron Joachim von Essenbeck (Jens Winterstein – er spielt auch den immer wieder durch den Abend führenden Erzähler) erhebt sich in der Bühnenmitte, gehüllt in einen blau-weißen Hermelinmantel, wie er Königen zusteht. Es ist sein Geburtstag. Nach und nach lernen wir die Mitglieder seiner Familie kennen. Ebenso Friedrich Bruckmann (Stefan Migge), einen der Direktoren des Stahlwerks und Liebhaber Sophie von Essenbecks, der Witwe des ältesten Sohns des Barons (Ines Krug), sowie den SS-Mann von Aschenbach (Stefan Diekmann – hervorragend als intrigant-teuflischer Strippenzieher). Noch in dieser Nacht, der Nacht des Reichstagsbrandes, wird der alte Baron erschossen. Dem liberalen Vizedirektor Herbert Thalmann (Thomas Büchel) wird der Mord in die Schuhe geschoben, er flieht. So beginnt der Kampf um die Erhaltung des Familienunternehmens, aber auch um persönliche Machtansprüche. Ein spannendes Konzept.
Zu häufig ist die Drehbühne in Bewegung. – was zuweilen ziemlich ermüdet. Auch wenn die Absicht – neue Einblicke und Durchblicke zu geben – klar ist. Die Handlung auf der Bühne entspricht weitgehend der Handlung im Film.
Einige Bilder sind beeindruckend. So die Darstellung eines SA-Besäufnisses , bei der viele bunte Girlanden vom Bühnenhimmel fallen. Überzogen dann, dass Jan Pröhl – er spielt Konstantin von Essenbeck, Joachims Sohn, einen fanatischen SA-Mann – hier im Dirndl mit einer blonden Gretchenperücke mehrere Nazilieder grölt. Martin von Essenbeck (Alexey Ekimov), zunächst total von seiner ehrgeizigen, kalt berechnenden Mutter (gut: Ines Krug) abhängig, mutiert zum überzeugten Nazi. Krass und unnötig überdeutlich sein an einer Puppe dargestellter Missbrauch eines Kindes. Man hätte es auch verstanden, wenn die Szene nicht so in die Länge gezogen worden wäre. Ebenso seine lang hingezogene Vergewaltigung seiner Mutter. Von Aschenbach dressiert in einer anderen Szene äußerst geschickt und eloquent die Söhne der Industriellenfamilie, Martin und Günther (Philipp Noack) dazu, „Hass“ zu brüllen und dabei den Hitlergruß zu zeigen. Eindrucksvoll. Doch bei zu vielen Wiederholungen verblasst der Effekt schnell.
Insgesamt eine beachtliche, in einigen Fällen hervorragende Ensembleleistung. Aber andererseits ein Abend, dem einige Striche gut getan hätten. Warum dieses Thema? Es ist wichtig, auf der Bühne ein Zeichen zu setzen, zum Nachdenken anzuregen - gerade heute, wo rechte Stimmungen, nicht nur in Deutschland, immer lauter werden. Dies gelang nicht immer bei all dem szenischen Gewusel im Grillo-Theater.