Übrigens …

Everything beautiful - Für immer schön im Mönchengladbach, Theater

„Gut aussehen macht innerlich ein gutes Gefühl.“

Noah Haidle, Jahrgang 1978, ist Dramatiker und Drehbuchautor. Seine Stücke wurden an verschiedenen Theatern in den USA aufgeführt. Mit Mr. Marmalade, 2009 am Staatstheater Stuttgart inszeniert, wurde Haidle auch im deutschsprachigen Raum bekannt. In der Spielzeit 2017/18 ist Haidle Hausautor am Nationaltheater Mannheim. Dort wurde Everything beautiful im Herbst 2017 uraufgeführt.

Cookie, die Protagonistin in Haidles bitterböser Komödie, ist eine geborene Kosmetikvertreterin. Jahr um Jahr zieht sie mit ihrem Rollkoffer durch die Vorstadtstraßen. Vor jeder Haustür setzt sie ihr strahlendstes Lächeln auf („Showtime! Lächeln!“) und spult ihre Geschichte ab: „Als ich ein kleines Mädchen war, sagte meine Mutter zu mir, dass Gott uns alle nach seinem Bild erschaffen hat. In diesem Moment war mein Schicksal entschieden. Ich war die geborene Kosmetikverkäuferin.“ Cookie Close ist jedoch nicht nur eine begnadete Kosmetikverkäuferin, sondern auch eine reifere Frau mit einer Vorliebe für jüngere Männer. So verführt sie den minderjährigen Sohn einer Kundin, Dan, von dem sie dann ein Kind, Dawn, bekommt.

Cookies Geschichte wird in Rückblenden erzählt. Zu Beginn sehen wir sie - grandios in ihrem unerschütterlichen Optimismus („Jeden Morgen wache ich auf und frage das Universum: Welches wunderbare Abenteuer hältst du heute für mich bereit?“) gespielt von Esther Keil - unermüdlich mit ihrem Rollkoffer und in einem pinkfarbenen Schneiderkostüm die Verkaufsstrecke entlang ziehen. Immer wieder um die Bühne herum bzw. zu den im Bühnenboden eingelassenen Türen mit Klingel und Spion laufend. Müde, mit blutig gelaufenen Füßen (drastisch, wie sie ab und an das Blut aus den Schuhen kippt). Und immer von einem musikalischen Jingle-Sound begleitet, der an Werbefilme erinnert. Ihre beste Zeit ist lange her, sie kämpft verbissen ums Überleben in diesem knochenharten Job. Die jüngere Kollegin Heather (Carolin Schupa), die sie ausgebildet hat, verspottet sie: „Kein Mensch kauft Kosmetikprodukte von einer Frau mit dem Gesicht einer belgischen Waffel.“ Verbissen kämpfen die Frauen, Cookies Kostüm zerreißt, Heather sticht ihr mit einer Nagelfeile ins Bein. In weiteren Rückblicken lernen wir die verhärmte Vera (Eva Spott) kennen, eine alte Bekannte. Sie kommt von der Beerdigung ihres Mannes, der sie mit Cookie betrogen hat. Auch Dawn (Anna Pircher), die sie als Baby bei Dan (Paul Steinbach) und seiner Frau zurückgelassen hat, kommt als 15-jährige, suizidgefährdete Heroinabhängige zu ihrer Mutter zurück. Auch wenn sie eine lausige Mutter war, was Cookie klar sieht, ihr „Küken“ liebt sie wahrhaftig. Doch ihr Versuch, sie zur Kosmetikverkäuferin auszubilden, schlägt tragisch fehl. Dawn hängt sich auf. Eine angemessene Beerdigung kann Cookie nicht zahlen. So zieht sie die Leiche der Tochter an einem Strick hinter sich her, während sie weiter unermüdlich von Tür zu Tür geht. Ein mitleiderregender, ein erschütternder Anblick. Cookie wird zum körperlichen Wrack. Sie erblindet zudem noch. Dennoch verkündet sie wie ein Mantra, mit genug Lebenswillen und Arbeitskraft könne jeder sein Glück machen. Gerade hier singt eine Frau John Denvers Song „Country roads, take me home“. Besser kann man den Mythos vom American Dream kaum kommentieren. Nationalstolz, das Streben nach Erfolg durch eigene Kraft, eine fromme Indoktrination (Cookies Mutter taucht in einer sehr schönen Rückblende auf, wo sie der kleinen Tochter schon Disziplin, Gottvertrauen und Energie predigt) und - last but not least - ein möglichst glamouröses Aussehen - was braucht es mehr?

Natürlich drängt sich die Parallele zu Arthur Millers Tod eines Handlungsreisenden auf. Auch hier steht ein erfolgloser Vertreter im Mittelpunkt, dessen Schicksal die Wertvorstellungen des Amerikanischen Traums obsolet werden lässt.

Roos‘ Inszenierung ist besonders im zweiten Teil nach der Pause packend. Der Gegensatz zwischen den immer brutaler werdenden Lebensbedingungen und der kämpferischen Frau, die verbissen gegen ihren Untergang angeht, ist ergreifend. Auch weil man hier eine Facette der harten Wirklichkeit gerade der USA sieht. Wer nicht (mehr) sein Glück schmieden kann, ist verloren.