1984 im Schauspielhaus Düsseldorf

Grüße aus dem Zeitalter der Uniformität

Armin Petras, 1969 in Meschede geboren, siedelte 1969 mit seinen Eltern in die DDR über. Von 1985 bis 1987 studierte er Regie an der Berliner Ernst Busch Hochschule für Schauspielkunst. 1988 reiste Armin Petras in die BRD aus. Er inszenierte an vielen Bühnen und war von 2006 bis 2013 Intendant am Maxim Gorki Theater in Berlin, von 2013 bis Sommer 2018 am Schauspiel Stuttgart. Unter dem Namen Fritz Kater verfasste Petras mehrere Theaterstücke.

Armin Petras inszenierte jetzt - in einer eigenen Bühnenfassung - George Orwells Roman 1984 in einer Koproduktion mit dem Schauspiel Stuttgart. Vier der acht Schauspieler kommen aus Düsseldorf, vier aus Stuttgart. Christian Friedel - in Düsseldorf bestens bekannt spätestens durch seine beeindruckende Interpretation des Hamlet - und seine Band „Woods of Birnam“ haben die Songs für diese Produktion komponiert. Friedel spielt zudem den Big Brother.

Warum 1984 heute? Petras meint dazu: „Es ist ja die dunkle, traurige Geschichte über ein totalitäres System und die Vereinzelung des Menschen, der auf eine Funktion reduziert wird. Auch in unserer Zeit des Turbo-Kapitalismus muss der Einzelne eine bestimmte Funktion erfüllen.“

Der Abend fesselt vom ersten Augenblick an. Die Bühnenmitte ist eine große, graue Scheibe, die von hohen, schwarzen Säulen begrenzt wird. Außerhalb der Scheibe stehen gleich hohe Säulen. Wenn sich die Scheibe dreht, entstehen einmal verschiedene Einblicke in den Raum, dann wird er kurzfristig verschlossen. Christian Friedel, begleitet von der rechts und links vor der Bühne stehenden Band, singt: „You wake me up in the night - shivering“. Und genau dies trifft die Atmosphäre der Produktion. Dunkel, beklemmend, fast bedrohlich ist das Leben im totalitären Überwachungsstaat Ozeanien, wo die Menschen mit Teleschirmen überwacht werden, wo die Gedankenpolizei und die gegenseitige soziale Kontrolle dem Individuum keinen Freiraum lassen. Kongenial auch die große, schwarze Röhre, die sich ab und an auf die Bühnenmitte herabsenkt und alles Widersprüchliche und Eigenständige aufzusaugen scheint, „vaporisiert“, wie es Orwell nennt. Ist sie hochgezogen, scheint Licht kegelförmig auf die Bühne.

Petras‘ Version der berühmten Dystopie kann zeitlich nicht festgelegt werden. Zu viele Stilelemente - zum Beispiel aus dem Bereich „Fantasy“ oder „Science Fiction“ - fließen in die Inszenierung ein. Das mindert den intensiven Eindruck dieses Abends in keiner Weise. Im Laufe der gut drei Stunden wirkt er immer beklemmender, man kann sich seinem Sog nicht entziehen. Der Protagonist Winston Smith (Robert Kuchenbuch spielt ihn hervorragend) schreibt ein Tagebuch als Dokument der Geschichte („Grüße aus dem Zeitalter der Uniformität“), wohl wissend, dass dies letztlich sein Todesurteil bedeutet. Er verliebt sich in seine Kollegin Julia (Lea Ruckpaul, nicht nur eine beeindruckende Schauspielerin, sondern auch artistisch begabt). Auch dies ein Verbrechen in Ozeanien. Und trotzdem erlebt Winston intensive, nie zuvor erlebte Gefühle. Petras illustriert diese Liebesgeschichte durch ein zum Teil fast akrobatisches Gerangel der beiden. Wobei Julia einen silbernen, eng anliegenden Anzug trägt, dessen Schuppen beim Streicheln gegen den Strich golden glänzen. Friedel singt nicht nur, er spielt auch den Big Brother (in einer Art Zirkusdirektorkostüm) und den Erzähler, der die einzelnen Szenen verbindet. Zudem dirigiert er die Einsätze der Band.

Im ersten Teil vor der Pause sehen wir beeindruckende Bilder. So wandeln etwa skurrile Gestalten über die Bühne, mit Krücken, mit Luftballons, Kinder laufen umher - fast eine Jahrmarktsszene. Dann wieder wabern Nebel, man hört Enten schnattern, sieht diverse ausgestopfte Tiere, ein Mann mit Geweih auf dem Kopf läuft herum - und man sieht sich in der Heide, dem einsamen Ort, wo sich Winston und Julia treffen.

Im zweiten Teil des Abends wird es zunehmend bedrohlicher und härter. Friedel als Big Brother und Wolfgang Michalek als O’Brien, Mitglied der inneren Partei, stürmen über die ersten Stuhlreihen in den Zuschauerraum und brüllen das Publikum und auch einzelne Zuschauer an: „Steh auf und kämpfe!“ und „Steht auf und hasst!“ Die Scheinwerfer flackern und man fühlt sich unmittelbar bedroht, unfähig, zu fliehen. Fast unerträglich die Szene, wo O’Brien Winston foltert. Überaus realistisch dargestellt - mit viel Blut und dem Geräusch brechender Knochen. O’Briens Monolog über die Welt, in der sich Maschinen unterhalten, sein Wüten gegen die Sprachen, die falsche Welten kreieren, sein blutverschmiertes Gesicht – das kann man lange nicht vergessen.

Anders als bei Orwell lässt Petras die Liebe am Ende siegen, wobei Julia den gefolterten, schwachen Winston trägt. Ein rührendes Bild.

Die Band steht beim Schlussbild mitten auf der Bühne. Es regnet weiße Federn.

Ein perfekt inszenierter, bis ins kleinste Detail überlegter Abend. Eine Bühnenshow mit Tiefgang. Fantastische Bilder, kongeniale Musik, ein hervorragendes Ensemble. Hier wären noch zu nennen: Cathleen Baumann, Thiemo Schwarz, Andrei Viorel Tacu, Rahel Ohm. Unbedingt ansehen!