Übrigens …

Homohalal im Stadthalle Mülheim/Ruhr

„Wer keine Visionen hat, dem hilft auch kein Arzt mehr.“

Ibrahim Amir stammt aus einer kurdischen Familie in Syrien. Er musste aufgrund seines Engagements in der kurdischen Studentenbewegung Syrien verlassen und kam 2001 nach Wien, wo er heute als Arzt arbeitet. Sein erstes Theaterstück Habe die Ehre wurde 2011 in Wien am Theater Nestroyhof Hamakon uraufgeführt und mit dem österreichischen Theaterpreis Nestroy ausgezeichnet. Die Deutsche Erstaufführung fand am Schauspiel Köln statt. Dort wurde auch 2015 sein Auftragswerk Stirb, bevor du stirbst in der Regie von Rafael Sanchez uraufgeführt. Ein Lehrstück über unterschiedliche Arten der Kommunikation und Wahrnehmung.

Ibrahim Amir arbeitete mit Geflüchteten und Aktivisten der Besetzung der Wiener Votivkirche zusammen. Diese Leute fragten sich, was wohl in 20 Jahren mit ihnen sein würde. So entstand die Idee, das Stück im Jahr 2037/38 spielen zu lassen. Anfang 2016 wurde kurzfristig die Uraufführung am Volkstheater Wien abgesagt - aus Sorge, das Stück könne in der politisch aufgeladenen Atmosphäre von damals falsch verstanden werden. Das Staatsschauspiel Dresden bewarb sich erfolgreich um die Uraufführung des nun auf Dresden umgeschriebenen und durch Mitarbeit des Ensembles weiterentwickelten Werkes. Das Stück spielt in einem fiktiven Dresden des Jahres 2037. Einem Dresden, das mittlerweile zu einem Vorzeigeprojekt für Toleranz und interkulturellem Miteinander geworden ist.

Der Abend beginnt mit dem Auftritt eines jungen Mannes, Rouni (Rouni Mustafa). Er hat seine Geschichte als Flüchtling wohl schon hundertmal erzählt, ist er doch „voll ausgebucht“: „Jedes Theater braucht seinen Quotenflüchtling.“ Mehrmals wiederholt er seine Geschichte, wie er mit 317 Menschen in einem Boot übers Mittelmeer kam. Dabei wirkt er zunehmend genervt, will er doch einfach Schauspieler werden und die Leute „professionell anlügen“.

Das Dresden im Stück wird durch eine leere, schräge Spielfläche angezeigt. An der ebenfalls schrägen Decke sieht man zunächst unscharfe schwarz-weiße Videoprojektionen mit Menschen im Jahr 2017,  lachend, in der Runde mit Freunden sitzend, bei einer Heiratszeremonie. Unter anderem liest man auch den Satz: „Endlich werden wir alle Christen.“ Dann beginnt das Spiel im Jahre 2037 (in Mülheim: 2038). Die Darsteller, deren Aussehen „übertrieben assimiliert“ (Amir) ist, sind alle wasserstoffblond. Ihre Kleidung ist grell bonbonfarben. Auch in ihrem Verhalten überschreiten sie alle ständig die Grenze zum Klischee. Wenn sie erstmals auftreten, wird eine kurze Charakterisierung (Name, Alter, Beziehung  zu den anderen) an die Decke projiziert. Die Gruppe trifft sich 2037 erstmals wieder. Anlass ist die Trauerfeier von Abdul, der Selbstmord begangen hat. Schnell brechen alte Wunden und Konflikte auf, die auf so skurrile und witzige Weise gespielt werden, dass es häufig sehr amüsant ist. Dazu meint der Autor: „Ein ernstes Thema kommt besser rüber, wenn die Leute lachen.“

Said (Matthias Luckey) regt sich über seinen schwulen Sohn Jamal (Thomas Kitsche - in einem Kinderoutfit: hellblaues Hemd, hellblaue, kurze Hosen) auf und hofft, es sei nur eine Phase. Seine wesentlich nüchternere Frau Ghazala (Annedore Bauer) überrascht diese Tatsache nicht, hat sie dies schon früher festgestellt: „Habibi, 17 Jahre sind keine Phase.“ Albertina (Anna-Katharina Muck), eine Frau mit Helfersyndrom, war mit Abdul verheiratet und blickt auf keine glückliche Ehe zurück. Sie beklagt sich über kulturelle Differenzen („Ihr Araber, ihr kommt doch aus einem Bergdorf.“). Die blond gelockte Barbara (Elzemarieke de Vos) war Saids große Liebe, doch scheute sie eine klassische Ehebeziehung. Die hätte ihn vor der Abschiebung in den Irak bewahrt. Jetzt tritt sie als selbst ernannte Imamin auf und ruft zum Sterbegebet für Abdul auf. Als die anderen ihr Arabisch kritisieren, geht sie mit einem beleidigten „Shalom“ ab.

Jeder bekommt an diesem Abend sein Fett weg. Jedes Klischee wird gebrochen, mit jedem Vorurteil abgerechnet. Umar (Thomas Schumacher), zunächst der orientalische Lover Boy und Rapper, entpuppt sich als schwul. Dann taucht der tot geglaubte Abdul (Holger Bülow) auf und will mit der Gruppe abrechnen. Bei einer Aktion, mit der sie den Rechten Angst einjagen wollten, wurde er als Einziger von der Polizei gefasst. Niemand half ihm. Jahre saß er im Gefängnis. Jetzt bedroht er mit Benzinkanister und Streichhölzern, die er sich aus dem Publikum besorgt, die anderen.

Der Abend endet mit wüsten Beschimpfungen einerseits - Jamals Bruder Jussef (Valentin Kleinschmidt) outet sich als Rechter und beschimpft den Anpassungswahn der anderen („Integration? Nein. Assimilation bis zur Unkenntlichkeit.“) - und Ghazalas Feststellung: „Wir haben uns dieses Leben verdient. Vor uns muss mein Bäcker keine Angst haben.“ Und als Schlusswort: „Wir lassen uns nicht von dem Terrorismus einschüchtern. Einer muss die Tür zuhalten.“

Homohalal ist eine ungemein unterhaltsame Inszenierung mit Tiefgang. Ibrahim Amir hat eine mutige, böse, pointierte Integrationskomödie geschrieben, einprägsam und intelligent von Laura Linnenbaum umgesetzt, mit viel Spielfreude von dem exzellenten Ensemble auf die Bühne gebracht. Amir hält nichts davon, das Thema „kulturelle Unterschiede“ mit Samthandschuhen anzufassen: „Das wird nicht gut ausgehen. Wir lassen uns viel zu sehr von den Rechten die Themen bestimmen oder auch verbieten.“