Blick hinter die eigenen Zäune
Crossing borders“ ist das Festival-Motto und in der Tat werden heute nicht nur Theater-Grenzen überschritten. Wir sind nach Flingern ins Gewerbegebiet bestellt, da sieht es so gar nicht nach Theater und noch viel weniger nach Garten aus, obwohl uns beides der Titel unserer „Expedition zu den grünen Oasen der Stadt“ verspricht: Garten minus Zäune, initiiert und inszeniert vom THEATER-Kollektiv per.Vers. Vorerst sieht man nur plakative Hinweise auf KAFFEERÖSTEREI SCHWARZ oder COVE & CO HERRENBEKLEIDUNG, doch dann taucht Jörg auf, den einige von uns noch von der Exkursion Souterrain, in die Unterwelt der Stadt , vor zwei Jahren, kennen, da trafen wir ihn als Clochard im Bahntunnel, jetzt gehört er zum Team: er weist uns den Weg zur Registrierung. Jeder bekommt einen grünen Daumen, dann stehen wir vor einem fast mannshohen Erdhaufen, aus dem ein Kopf herausragt. Man fühlt sich an Becketts Glückliche Tage erinnert, doch nicht die Blondine Winnie schaut da oben heraus, sondern ein junger, bärtiger Naturbursche. Er stellt sich vor als Jona Galle, Biologiestudent, und beginnt vom WUNDER -ERDE zu schwärmen: Sauerstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Wasser, Nitrat, Nitrit, Kalzium, Schwefel , Magnesium, organische Moleküle und Destruenten, das alles enthält sie, und damit wir das auch glauben und erleben können, bekommt jeder von uns ein Samenkorn. Wir sollten es daheim in den Blumenkasten pflanzen und beobachten. Doch bevor Jona sich ausgebuddelt hat und die Reise, die er sachkundig begleiten wird, losgehen kann, erfahren wir noch, dass in einem Quadratmeter Erde 5 Billionen Organismen leben: Bakterien, Pilze, Algen, Fadenwürmer, Ringelwürmer, Milben, Springschwänze, Rädertiere, Borstenwürmer Käferlarven, Zweiflüglerlarven, Regenwürmer, Schnecken, Asseln und Spinnen. Die Aufzählung erinnert - psalmodierend, von leisem Summen der drei Mitspielerinnen begleitet - an eine Litanei. (Musik: Bojan Vuletic).
Die Damen in erdfarbenen Overalls (Anna Beetz, Julia Dillmann, Nora Pfahl) führen uns jetzt in den bereitstehenden Bus und beginnen während der Fahrt ein charmantes Geplauder über den Wert der Bewegung im Allgemeinen und der Gartenarbeit im Besonderen, später über Luftverschmutzung und Kurzatmigkeit sowie über die Verantwortlichkeit gegenüber allem Lebendigen. Und das alles wird mit solcher Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit beredet, dass man sich weder schulmeisterlich belehrt noch besserwisserisch beschuldigt fühlt.
Dazu passt dann die erste Station der Exkursion: der Schrebergarten des Kleingärtnervereins Junkerstraße. Fortuna-Fahnen wehen uns entgegen. Alles ist sehr akkurat und liebevoll gepflegt, üppig grün und bunt-blühend. Die perfekte Idylle. Die Sonne meint es gut mit uns und mitten im Gelände treffen wir dann auf bestellte Fortgeschrittene Sonnenbadende. Die Texte werden leicht ironisch, aber nicht böse. Ein Lied wird von den Performerinnen intoniert: „Good fences make good neighbours … Ein ganz besonderer Ort/ Und nach dem Besuch geht man wieder fort“. Diese Ode an den Zaun wird uns dann auf der weiteren Fahrt wiederbegegnen, neben anderen kritischen oder poetischen Gesängen und Texten.
Die nächste Station an der Mülheimer Straße ist eine wahre Überraschung: durch einen begrünten Säulengang und einen ganz normalen Hausflur gelangen wir in ein Zaubergärtchen: üppige, exotische Gewächse, ein kleiner Tümpel, Schildkröten, buntblühende Blumen und Sträucher. Ein verwunschener Platz, nicht größer als 150 oder 200 qm, eingezwängt zwischen Häuserfassaden und Mauern, völlig asymmetrisch, verträumt.
Das Problem der Zubetonierten Innenstädte wird angesprochen und ein Beispiel gelungener Bürgerinitiative besucht: An der Rolandstraße ist es Anwohnern gelungen, einen Parkplatz in einen Gemeinschaftsgarten zu verwandeln, in dem jetzt Johannesbeeren, Himbeeren, Äpfel und Pfirsiche geerntet werden können. Auf einem Tablett, der Blatt-Bar, gibt’s Kräuterblätter zu kosten.
Dann geht’s zum ERGO Gebäude. Durch tropische Gänge und über 14 Treppen erreichen wir das Dach und schauen hinunter auf die Begrünung viel tiefer gelegener Dächer der Nebentrakte: höchst akkurat beschnittene Sträucher und Hecken in unterschiedlichen Grüntönen bilden riesige Scheingärten, die nur betrachtet, nicht betreten werden dürfen. Für mich eine Grenzüberschreitung, per.vers..
An unserer letzten Station stellt sich ganz konkret die Frage der Umweltverschmutzung, des Insektensterbens und der Bodenkontaminierung. Wir kommen zu einem riesigen Areal in der Nähe der Kölner Straße, wo auf dem Gelände einer ehemaligen Stahlfabrik nur noch auf Hochbeeten gegärtnert werden kann. Mit einer Performance in Bienenkostümen wird das Problem eindrucksvoll thematisiert.
Zwischen den Fahrstrecken gibt es reichlich Bewegung vorbei an blütenreichen Vorgärten aber auch an verlorengegangenen Grünflächen: Baurecht geht vor Baumschutz. Insgesamt bietet die vielfältige Performance Anregungen, Denkanstöße, Überraschungen sowie Freude an der phantasievollen Begleitung dieser theatralen Safari durch den Stadtdschungel Düsseldorfs.