Sommerloch. Eine Reisewarnung. im Köln, Theater im Bauturm

Reisezeit

Eine Premiere genau in den Beginn der Ferienzeit zu legen kann riskant sein, schließlich lebt ein Theater von möglichst vielen Zuschauern. Aber trotz des eher skurrilen Titels drängten sich bei der Premiere weitaus mehr Zuschauer ins Theater als Plätze vorhanden waren. Es ist ja schon etwas Besonderes, wenn die Theaterchefs ein Stück schreiben und das auch selbst spielen, so 2016 geschehen im Erfolgsstück Weihnachtsfeier. Ein Betriebsunfall. Wir Deutsche sind zwar nicht mehr Fußball-Weltmeister, aber pro Kopf gerechnet klare Reise-Weltmeister. Da liegt es für ein kleines bissiges Theater auf der Hand, dieses Genre mal kritisch, aber auch amüsant unter die Lupe zu nehmen – und das ist den drei Herren binnen 70 sehr kurzweiliger aber auch nachdenklicher Minuten bestens gelungen.

Rings um das köstlich deklamierte Bläck-Fööss-Lied vom Urlaub in Spanien, wo alles bis auf die „Aussicht op d´r Dom“ „wie ze Hus“ ist – amüsant zwar ist es aber auch eine Reisewarnung für ernsthafte Touristen - haben Theaterchef Laurenz Leky, Dramaturg René Michaelsen und Geschäftsführer Bernd Schlenkrich als Co-Autor und Regisseur eine Collage von Zitaten, Literaturstellen, Gedichten und scharfzüngigen Allgemeinplätzen drapiert. Angefangen mit einem Urlaubsdia einer banalen Ziegelwand, wo a la Ödipussi über die Farbe schwadroniert wird und in das Foto eines braven indischen Büroangestellten die „Unmittelbarkeit der Gefühle“ persiflierend interpretiert wird. Beide Schauspieler sind ständig in Aktion, lesen entweder am Stehpult und schmeißen sich Goethes „blühende italienische Zitronen“ um die Ohren, oder rennen fragend und diskutierend ins Publikum.

Michaelsen dürfte für die Literaturübersicht verantwortlich zeichnen: Gottfried Benn lehnt das Reisen grundsätzlich ab. Und der große Tucholsky schließt sich ihm an: „wie Du auch die Welt durchflitzt ohne Rast und Ruh-: hinten auf dem Puffer sitzt Du“. Denn wir können uns nicht entfliehen; es ist ein Irrtum zu glauben, dass die Erweiterung des Horizonts und das Sammeln von Erfahrungen nur auf Reisen möglich ist. Das muss nicht in Patagonien sein, dazu reicht ein Baggersee am Stadtrand. Theodor Fontane und der Massentourismus: Alle Welt reist heute. Die Frage nach dem vergangenen oder kommenden Urlaub füllt viele Gespräche, und für den einen Urlaubsmonat im Jahr wird elf Monate gedacht und gedarbt. Nur - findet der moderne Mensch wirklich Erholung, der nur herumreist, oder ist für Urlaubsglück ein ruhiger Aufenthalt auf dem Lande erforderlich? Denn der Reisedrang wächst parallel mit dem Anstieg des Reisebedürfnisses, zumal die Urlaubsziele voll von touristischen Wegelageren sind. Fontane rät: Mit niedrigsten Erwartungen antreten.

Ganz krass äußert sich David Foster Wallace in „Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich“; man kann es schon vermuten, es geht um Kreuzfahrten. Er ätzt über das Bordprogramm, die Reiseteilnehmer und ihre Gesprächsthemen, über blödsinnige Fragen und ausführliche Krankheitsberichte - wirklich zum Abgewöhnen. Das empfehlenswerte Buch ist noch greifbar. Dazu kommt, dass sich die maritimen Reiseerlebnisse durch die Massen abnutzen: Exklusivität war einmal. Rolf-Dieter Brinkmann (Rom, Blicke 1979) urteilt über die ewige Stadt: Überall eine schmutzige Verwahrlosung, ekelige Touristen und allerorten Hundescheiße. Wir neigen dazu, immer alles ganz toll zu finden; Brinkmann dazu: „Eine Reise kann doch auch mal Scheiße sein“. Joseph Roth hingegen schwärmt von Vienne, einer kleinen französischen Stadt, wo überhaupt nichts mehr geschieht außer dem Schlagen der Glocken. Und Robert Walser lästert über die 500 Seiten von Goethe über Venedig, wo in einem fort geschätzt, bewundert, gelobt und geliebt wird. Denn das Langweiligste sind Erwartungen, die sich erfüllen. Und quälend lange Diavorträge.

Furchtbar und oft peinlich sind Begegnungen mit penetranten Landsleuten im Ausland, Sven Regener schildert es in „Magic Mystery“, eine stundenlange Diskussion mit einer Rezeption um gebuchte Zimmer. Und erst der Illusionsapparat wie bei AirBnB: man bezahlt dafür, sich nicht als Tourist zu fühlen; ein fadenscheiniger Mantel der Gastfreundschaft – schauderhaft. Wenn man wirklich etwas erleben will: rings um die eigene Stadt ist alles „terra incognita“, und Bekannte trifft man eher im Ausland als dort. Eugen Roth wird zitiert: „So ist Spinoza nie gereist- und doch, welch weltenweiter Geist“. Auch Kant kam nie aus Königsberg heraus, ebenfalls blieb Schopenhauer immer in Frankfurt: „Wer Geist hat, liebt nicht das Gedudel“. Wie so viele Kollegen kam selbst Schiller nie weit weg, auch Jules Verne und Karl May schrieben über Gegenden, wo sie nie waren; der größte Maler Rembrandt kam so gut wie nie aus Amsterdam.

Kant wusste: es gibt nur unsere Wahrnehmung- nicht was du siehst, sondern wie du es siehst ist entscheidend. Kurze Reisen genügen vollauf: „Schatz, mal im nächsten Sommer nach Krefeld?“ Über den Iran erfährt man ohnehin mehr von einem Kölner Taxifahrer. So berichtet Robert Walser in „Das Zimmerstück“ von einem unterbeschäftigten Schriftsteller, der in einem rostigen Nagel in der Wand, an dem ein abgenutzter Regenschirm hängt, erkennt, wie sich Schwaches an Schwachem stützt - ein tolles Thema für ihn.

Forderung an die Zuschauer: lassen Sie uns endlich zuhause bleiben; produktiv zuhause bleiben. Denn entscheidend ist nicht das, was wir erleben, sondern wie wir verarbeiten, was wir ohnehin jeden Tag erleben. Und der Rat: einfach das Herz aufmachen, um die eigene Fremdheit zu erkennen und auszuhalten.

Dieses Stück - ist das hier wirklich eine Reisewarnung, wie man es nicht machen soll? Denn man lacht über etwas, was einen selbst betrifft, das ist Warnung und Lob zugleich. Ob das Trio an diesem schrillbunten Abend den Zuschauern das Reisen wirklich vermiesen will, sei dahingestellt; denn sie reisen ja auch selbst. Aber sie haben sicherlich den kritischen Blick geschärft für die vielfältigen negativen Seiten des Reisens, bei sich selbst und bei anderen.