Übrigens …

Minna von Barnhelm im Theater Krefeld

Der abgerissene Strick kann nicht wieder geknotet werden.“ B. Brecht

Kein Stück der Weltliteratur hat so konträre Interpretationen erfahren wie Minna von Barnhelm. Geht es bei dieser komplizierten Liebe, die ein sächsisches, adeliges Fräulein und ein kurländischer Major, dem die preußische Regierung ehrabschneidend kriminelles Vergehen vorwirft, füreinander empfinden, um ein Lustspiel, wie der Untertitel verheißt, oder um eine verkappte Tragödie?

Anja Panse inszenierte Minna von Barnhelm am Theater Krefeld. Sie verwendete dabei verschiedenste Stilmittel. Auch die Epochen wechseln. Panse reduzierte den Text auf etwa zweieinhalb Stunden, lässt aber überwiegend den Originaltext sprechen.
Lessing lässt sein Stück am Ende des Siebenjährigen Krieges (1756-63) spielen, in einer Zeit, in der die patriotische Unterstützung der Vaterlandssache einer Ernüchterung Platz gemacht hatte. Major von Tellheim (Ronny Tomiska) war Söldner im preußischen Heer unter Friedrich II. und an der Eroberung Sachsens und Thüringens beteiligt. Er kam den Besiegten bei ihren Reparationszahlungen großzügig entgegen und wurde deshalb unehrenhaft aus der Armee entlassen. Fest überzeugt, die gesellschaftliche Verbindung mit Minna von Barnhelm, die er ein halbes Jahr zuvor kennen und lieben gelernt hatte, sei ob seines Ehrverlustes nicht mehr möglich, will Tellheim Minna aufgeben. Diese denkt jedoch nicht daran. Esther Keil überzeugt als lebenskluge, gewitzte Frau, der es letztlich gelingt, Tellheim von seiner pessimistischen Sicht abzubringen, spätestens, wenn sie ihm Riccauts positive Nachricht „Ihre Sache sei dem glücklichen Ausgang nah.“ übermittelt.

Der Abend beginnt mit einer eher traditionellen Kulisse des Wirtshauses, in dem Tellheim und Minna sich wiedersehen. Just, der Bediente des Majors, taumelt betrunken durch die Stube. Bruno Winzen gibt ihn mit leichenblassem Gesicht und mit heruntergekommener Kleidung. Christopher Wintgens tänzelt affektiert als Wirt im Morgenmantel über die Bühne. Adrian Linke als seine Tochter Emilia spielt neckisch die Posaune als Kommentar zum Wortwechsel zwischen Just und ihrem Vater. Warum hier dieser Gendertausch vorgenommen wurde, bleibt ein Rätsel. Tomiska ist ein von seiner Minna entzückter Tellheim, übertriebene Gesten machen dies mehr als deutlich. Esther Keil gelingt die Metamorphose von mädchenhaft verliebter Frau zu einer taktisch planenden, die den Geliebten um jeden Preis zurückgewinnen will, überdeutlich.
Schritt für Schritt verändert sich das Bühnenbild. Es löst sich in verschiedene Teile auf, die sich vor- und zurückbewegen. Treppen führen ins Nirgendwo. Die Kostüme ändern sich ebenfalls bis zur Kleidung von heute. Tellheim, eben noch mit Pickelhaube und entsprechender Uniform, trägt jetzt Safarijacke und Sonnenbrille, genießt Whiskey und raucht eine Zigarre. Der Schnurrbart wird kurzerhand abgezogen.

Rätselhaft, ob diese Regieeinfälle zu einer Aktualisierung Lessings Stück aussagekräftiger machen. Unglaubhaft zum Beispiel, dass sein anfänglich lahmer Arm plötzlich geheilt und hergestellt ist. Paul Werner, der frühere Wachtmeister des Majors (Philipp Sommer), der einen Hang zum aktiven Dienst im Heer hat, taucht aus dem Boden wie ein „Jack-out-of-the box“ in Tarnuniform mit MG auf. Minnas Onkel (Michael Ophelders) schwebt als Deus ex Machina vom Bühnenhimmel herab, ein Hirschgeweih ziert seinen Kopf und lässt an die bekannte Jägermeister-Reklame denken. Und alle stimmen mit ihm in ein Lied ein. Nicht der erste Musicaltouch an diesem Abend.

Sicher, das Ensemble spielt engagiert. Und dennoch fragt der Zuschauer sich, welche Erhellung so mancher „Inszenierungsknüller“ wirklich bringt. So steigen Minna und ihre Zofe Franziska (gut: Denise Matthey) zu Beginn aus einem riesigen Koffer. Ein Gag. Was sonst?
Man verlässt das Theater nachdenklich und nicht von Sinn und Zweck der zahlreichen krampfhaften Überzeichnungen und Aktualisierungen überzeugt.