Poetry Slam - mal ein bisschen anders
Dead or Alive – tot oder lebendig – ein gnadenloser Dichterwettstreit ist angekündigt auf dem Sommerfestival der Künste auf den Düsseldorfer Hinterhöfen, wo sich die Kunst- und Theaterfreunde in diesem Jahr nur so drängeln. Heute also ein Poetry Slam. Doch Tote gab’s bisher noch nie bei den inzwischen populären Poesie-Schlachten, die es seit 1996 in vielen deutschsprachigen Städten gibt. Erfunden wurden sie Mitte der achtziger Jahre in Chicago von dem Performance-Poeten Marc Kelly Smith, der die üblichen Dichterlesungen durch Performance und Publikumsinteraktionen interessanter machen wollte. Seine Regeln waren dabei strikt: Zeitlimit, keine Requisiten, keine Selbstinszenierung, Publikumsjury.
Allerdings scheint heute einiges anders zu werden: zwei fesche junge Leute (Christine Brinkmann und Johannes Floehr) übernehmen höchst routiniert die Moderation des Abends und klären die Slam-Neulinge über die Slam- Regeln im Allgemeinen und über Konstellation und Ablauf des heutigen Events in gutgelauntem Dialog auf. (Wie ich später erfahre, sind sie ein eingespieltes Team, das allmonatlich durch die Poetry Slams des heute kooperierenden Düsseldorfer Kulturzentrums „zakk“ führt.)
Fünf Säckchen mit Stimmkarten werden an zufällig aus dem Publikum ausgewählte Jury-Mitglieder verteilt und dann geht es los:
Auf den sechs Gartenstühlen auf der sonst leeren Bühne – drei rechts, drei links – nehmen nicht etwa sechs junge Poet*innen Platz, sondern nur links die erwarteten lebendigen Wortakrobat*innen, rechts hingegen drei Schauspieler*innen vom Düsseldorfer Ensemble. Sie also verkörpern die Toten: Friedrich Schiller, Agatha Christie und Karl Marx werden sie ihre Stimme leihen. Aber nicht nur das: sie dürfen ihre Texte mit Requisiten, performativen Elementen und theatralischen Selbstinszenierungen ergänzen, während den LEBENDEN nur das Wort, gelesen oder auswendig vorgetragen, zu Gebote steht.
Da stellt sich doch die Frage nach den Bewertungskriterien: Performance gegen Text? Große Literatur gegen Alltagslyrik? Professionelles Schauspiel gegen Laiensprache? Doch das Publikum lässt sich nicht irritieren, gibt allen im Voraus reichlich Applaus und zeigt sich ungemein animiert. Und in der Tat, ist dieses DEAD-OR-ALIVE-Format inzwischen eine gängige Spielart der ursprünglich strengeren Form. Gelesen wird im Wechsel der Gruppen, jeder hat sechs Minuten.
Luca Swieter tritt als erste ans Mikrophon, stellt sich vor als Studentin mitten im Bachelor-Examen und erzählt in ihrem Text von ihrem Alltag, in dem es immer zwei Möglichkeiten gibt, vom Musikhören, sei es Max Giesinger und Helene Fischer. Sie spricht charmant, ist eingeübt ins Vortragen, wie übrigens alle drei Slam-Poeten. Das Publikum geht mit, reagiert erfreut, lacht über Dackel und goldene Elefanten und dann ist die Zeit auch schon um.
Es folgt der Schauspieler Bernhard Schmidt-Hackenberg mit Schillers Bürgschaft. Er verzichtet auf Requisiten, beginnt mit ein paar Verballhornungen der Ballade vom kartoffelschälenden Tyrannen und Trump, dramatisiert den Text bis zum Ulk und bricht dann ab: Fortsetzung folgt. Das gibt nicht allzu viele Punkte und man fragt sich, ob diese Ballade des ausgehenden 18ten Jahrhunderts, die Pythagoreische Freundschafts- und Treuebegriffe besingt, für einen Ulk gut ist.
Als Nächste folgt Sandra Da Vina, die sich als Berufs-Slamerin versteht und schon ein Büchlein mit ihren Texten veröffentlicht hat. Sie beginnt ganz persönlich, Vorstellung und Text gehen ineinander über: ich bin fast dreißig. Ich bin so unglücklich verliebt. Der Text ist geistreich und witzig, gut komponiert und das Publikum regiert mit spontanem Beifall.
Von den Schauspielern kommt dann Hanna Werth ans Mikrophon mit „Die Axt“, einer krassen Groteske von Agatha Christie, die sie im bizarren Hochzeits-Outfit mit böser Ironie höchst theatralisch vorträgt: einfach perfekt, professionell.
Danach wird es ernst, es folgt „Die Selbstbefragung“ des jungen Marburger Literaten Jakob Kielgass, der auch schon einiges veröffentlichte, und einen sehr persönlichen, inhaltlich und sprachlich anrührenden Text vorträgt. Das Publikum, das bisher eher temperamentvoll reagierte, hört gebannt zu und zollt ihm, als er mit dem Satz “Wir sind nur Menschen unter Menschen“ endet, den verdienten Beifall.
Als Letzter tritt Alexej Lochmann in die Bütt – ja so muss man den Auftritt wohl verstehen. Als einziger Schauspieler liest er seinen Text ab, aber mit so viel Verve, dass er das vergessen macht. In knallrotem Seiden-Pyjama-Oberteil, Goldkette und nackten Beinen in schmuddeligen Turnschuhen schreit er ins Publikum: “Ich bin hässlich, aber kann mir die schönste Frau kaufen“. „Das Geld“ von Karl Marx ist angesagt und wechselnd zwischen lautem Gebrüll und geschmeidigem Prediger-Singsang peitscht er sich durch den Text, reißt die Jacke auf, streichelt in eindeutig zweideutiger Gestik seinen mit Dollarzeichen geschmückten Slip und bricht im gespielten Orgasmus zusammen. Das Publikum tobt. Es geht in die Pause, doch der Wettstreit ist entschieden.
Im zweiten Durchgang folgen noch bemerkenswerte Beiträge der Slamer: ein intelligenter Sisyphos-Text von Kielgass, eine humorige Idylle zum Schrebergarten ihrer Kindheit von Da Vina und ein persönlich anmutendes, auswendig vorgetragenes Liebesgedicht von Swieter.
Das alles konnte die Begeisterung für die klamaukige Performance des Profi-Schauspielers nicht toppen. Karl Marx siegt.
Da bleibt die Frage nach den Kriterien, wenn das Wort gegen die Performance antreten muss. Das Publikum war’s zufrieden. Die TOTEN haben gesiegt und alle waren bester Laune.