Kolportage ohne Hintergrund
Mit dem Titel Menschen im Hotel verbinden wohl die Meisten entweder den Roman der Österreicherin Vicki Baum aus dem Jahr 1929 oder aber den gleichnamigenHollywood-Film mit Starbesetzung wie Greta Garbo und Joan Crawford, der 1932 den Oscar für den besten Film erhielt. Doch schon 1930 kam eine Bühnenfassung, von der Autorin selbst verfasst, unter der Regie von Gustaf Gründgens in Berlin auf die Bühne, die noch im gleichen Jahr in London und New York nachgespielt wurde.
Jetzt kommt das Stück zum Spielzeitbeginn in einer Bearbeitung des Düsseldorfer Künstlers Stephan Kaluza auf die Bühne des noch in den Renovierungsarbeiten steckenden Düsseldorfer Schauspielhauses am Gustaf-Gründgens-Platz im Zentrum der Stadt.
Die Geschichte spielt während der Goldenen Zwanzigerjahrein einem Berliner Luxushotel, in dem wildfremde Menschen aufeinander treffen. „Das sind keine runden, vollen, abgeschlossenen Schicksale. Es sind nur Bruchstücke, Fetzen, Teile“ von „Glückseligkeiten und Katastrophen“, tönt es zu Beginn des Stücks aus dem Off im Originaltext von Vicki Baum, die als junge Frau - bevor sie zu einer viel beachteten Vertreterin des expressionistischen Romans in der Weimarer Republik wurde - selbst vorübergehend als Zimmermädchen in einem Berliner Hotel arbeitete und so die Atmosphäre eines solchen Hauses nur zu gut kannte.
Doch das Hotelfoyer, in das wir blicken, nachdem der schwere rote Samtvorhang die Bühne freigibt, hat nichts vom Glamour und Pomp eines Luxushotels der Zwanziger Jahre. Streng geometrische Formen in tristen Grautönen, nur dezent von mattroten Flächen aufgelockert, erinnern eher an die strenge Zweckmäßigkeit mancher Nachkriegsbauten als an das neobarocke, prunkvolle Dekor des Berliner Excelsior, dessen Außenfassade später einmal auf einer Gazewand eingeblendet wird. In diesem freudlosen Ambiente verteilen sich dreizehn in der Bewegung zu leblosen Statuen erstarrte Hotelgäste, deren Schicksale sich in den nächsten Stunden zumindest oberflächlich miteinander verknüpfen werden. Als Metapher des Lebens lässt der Regisseur Sönke Wortmann die Bühne sich drehen und fortwährend neue Räume freigeben, in denen wir dem wohlsortierten Personal des Stücks begegnen können. Zwischen den einzelnen Episoden, während sich die Bühne weiterbewegt, ertönen immer wieder Romantexte aus dem Off, die das Geschehen ergänzen, interpretieren oder auch die Figuren charakterisieren sollen.
Als da sind die alternde russische Ballerina Grusinskaya (Karin Pfammatter), die ihre Glanzzeiten längst hinter sich ließ, oder der vornehm tuende, verarmte Baron von Gaigern (Stefan Gorski), der seinen Unterhalt mit waghalsigen Fassadenklettereien als Hoteldieb und Trickbetrüger bestreitet. Dann tauchen da noch einige Honoratioren auf: der kriegsversehrte, morphiumsüchtige Dr. Otternschlag (Rainer Philippi) sowie der gerissene, ruinöse Generaldirektor Preysing (Peter Jordan, der zehn Tage vor der Premiere für den verhinderten Thiemo Schwarz einspringen musste) mit seiner nur mühsam zu entflammenden Sekretärin Fräulein Flamm, dem Flämmchen (brillant: Lieke Hoppe). Und unter all die großkopfeten Herren mischt sich die vielleicht wichtigste Gestalt des Geschehens, der zum Tode kranke kleine Angestellte Kringelein (Torben Kessler), der all sein Erspartes und Ererbtes zusammenraffte, um für den Rest seiner Tage ein Stück vom Kuchen der Reichen und Schönen abzubekommen.
Wortmann präsentiert eine Mannschaft von mehr oder minder deformierten Prototypen, von denen jeder einzelne zwar schauspielerisch brilliert - bestens ausgestattet in der Mode der Zeit - deren Interpretation jedoch im Fazit über eine belanglose, höchst vorhersehbare Routine nicht hinauskommt. Da fehlt dem lebensmüden Arzt jeder Zynismus und Stefan Gorsky gibt den adeligen Herzensbrecher eher als Jüngling mit Charme und Herz im feinen Smoking, denn als mondänen, gerissenen Schönling. Und wenn er bei seinem allerletzten Coup vor der Liaison mit der reichen Diva erwischt und erschlagen wird, birgt die Szene eher Kitsch als Tragik. Auch die Rolle des kleinen Revoluzzers im Knitteranzug, Torben Kessler als Aussteiger, der nichts mehr zu verlieren hat, kommt über die leicht sentimentale, wenn nicht gar schwülstige Figur einer Seifenoper nicht hinaus.
Und dann, am Ende der vier Tage und vier Nächte, von denen das Stück erzählt, plätschert es so langsam mit Life-Pianomusik aus.
Die ursprüngliche Fassung des Romans trug den Untertitel „Ein Kolportageroman mit Hintergründen“. Weder von dem leicht ironischen Unterton der Autorin noch von den Hintergründen der Ereignisse ist in Sönke Wortmanns klischeehafter Inszenierung etwas zu erahnen.