Der Investor kommt
Da wird einem der angesagten Kölner Privattheater nach 45 Jahren einfach der Boden unter den Füßen weggezogen: 2019 folgt der Exitus aus der Immobilie an der Kleingedankstraße; irgendwie kommt einem da „nomen est omen“ in den Sinn. Rein rechtlich ist am Vorgang nichts zu beanstanden, Kündigungsschutz gib es nur für private Wohnungen, daher spielt man schon lange „auf gepackten Koffern“. Immerhin wurde der Vertrag vom Eigner sogar noch einmal verlängert, aber am 31. Juli 2019 gehen die Lichter hier endgültig aus und der berühmte Theatergeist muss sehen, wo er bleibt. Aus dem Theater werden Wohnungen, Luxus für ganz Wenige gegen professionelle Theaterkunst für die bisherigen achtzehntausend begeisterten Zuschauer. Kurz: Kultur weicht Profit, ein üblicher Vorgang in spätkapitalistischen Zeiten, aber keinesfalls ein „Rausschmiss“, wie im Programm aufgeführt. Der „Keller“ wurde in den vergangenen Jahren mit vielen Ehrungen und Gastspiel-Einladungen bedacht, hatte ein treues Stammpublikum, die Einnahmen konnten sogar verdoppelt werden; eigentlich ist alles im grünen Bereich. Dr. Ulrich Wackerhagen, Rechtsanwalt und rühriger Vorsitzender des Trägervereins, hat eine einjährige Option im „Alten Pfandhaus“ vereinbart; in dieses Oval hatte auch die Oper Köln erfolgreich ihre Kinderoper ausgelagert. Die angedachte hübsche Idee eines roten Theaterkubus‘ auf dem weitläufigen Ebertplatz mit einer darunter liegenden Freiluftbühne musste aus vielerlei Gründen - auch in finanzieller Hinsicht - fallen gelassen werden. Man darf gespannt sein auf drei noch geheime Optionen mit langer Laufzeit.
Gespannt ist man aber auch, wie das Theater und ihr Chef Heinz Simon Keller in künstlerischer Hinsicht mit dem „Thexit“ umgeht; gleich für die erste Premiere der letzten Spielzeit steht Anton Tschechows Kirschgarten auf dem Spielplan, mit dem sinnigen Untertitel Der Letzte macht das Licht aus. Denn das passiert beim Kirschgarten auch: Ein Investor kommt, der alle Bäume fällen lässt, um Platz zu schaffen für zahlungskräftige Touristen; die frühere Besitzerfamilie resigniert, hat aber dafür keine Schulden mehr und geht ins Ausland, wo sie sich auf ein neues Leben freut. Die Geschichte des Kirschgartens wird im Theater Realität.
Heinz Simon Keller, der das Stück zusammen mit der Dramaturgin Ulrike Janssen entwickelt hat, hat den Originaltext gekürzt und in ihm eine zweite Handlungsebene eingezogen. Er verdoppelte die Figur des aufmüpfigen Studenten Trofimow; sein Alter Ego ist der Regisseur der Tragikomödie während einer Probe. Die spielt er allerdings nicht auf der Bühne, sondern links seitlich neben den Zuschauern. Er greift in die Handlung ein, gibt Anweisungen, lässt die Schauspieler auch zu Wort kommen: „Heinz, ich hau auch ab“. Und wenn er dran ist, knipst er eine kleine Schreibtischlampe an, um im Text oder den Regieanweisungen lesen zu können. Und hat natürlich reichlich Gelegenheit, über den Umbau herzuziehen: Dort kommt die Designer-Küche hin, diese Wand wird abgerissen für den Blick auf den Parkplatz, hier entsteht ein großes Foyer. Für die „alteingesessenen“ Zuschauer sicher eine beklemmende Situation und für Keller kaum einfach durchzustehen; die Bemerkung „wie bei Millowitsch“ lockert aber alles wieder auf. Ganz zum Schluss, und dann doch auf der Bühne, legt er sich im Hintergrund auf den Tisch zum Schlafen hin: Resignation, Aussitzen eines nicht vermeidbaren Faktums oder einfach müde vom Kämpfen um das marode Theater, versinnbildlicht durch einen heftigen Wassereinbruch von oben. Aber so schlimm ist es doch in dem Bau nie gewesen. Und außerdem sagt das Kölsche Grundgesetz im § 3: „Et hätt noch immer jot jejange“.
Die Schauspieler haben die Inszenierung prächtig mitgetragen, allen voran Kerstin Thielemann als Gutsbesitzerin, großartig im Wechsel mit ihren Erinnerungen an früher und der aktuellen Rückkehr, mit Verzweiflung und Abhaken der Vergangenheit. Überzeugend auch ihre Tochter Anja (Erika Jell) und das Pflegekind Warja (Masha Shafit), die mit ihrem Akkordeon mal schräg, mal laut, mal tanzend die Stimmung wiedergibt. Sehr stark auch Jean-Luc Bubert als schlitzohriger, raffgieriger und körperlich total fitter Kaufmann Lopachin mit einem freihändigen Sprung auf den Tisch.
Ob das finale Video mit der Abrissbirne Sinn macht, sei dahingestellt. Auch die Hetze gegen den Besitzer („Immobilienhai“), die Mär von sehr hohen Mietzahlungen in der Presse (tatsächlich wird nur die Hälfte gezahlt), und die Formulierung vom „Rausschmiss“ sind einfach unzutreffend. Und mal ehrlich: Das Theater ist ein arg enger Schlauch, schlecht zu lüften, mit mühsamem Catering und nicht rollstuhlgerecht. Kann es nicht auch Sinn machen, sich über einen Umzug zu freuen?