Tyll im Köln, Schauspiel

In den Fluten des Styx

Die Bewegungen fallen schwer in dieser Welt. Bis zu den Waden reicht den Akteuren das Wasser, das die Spielfläche im Depot 1 des Kölner Schauspiels überflutet. Im sparsamen Licht, das die Menschen einzeln aus der dunklen Umgebung hervorhebt, sie berichten und sich porträtieren lässt, flimmert die Wasseroberfläche, bricht die Figuren in Wellen, macht sie zu vermeintlichen Vexierbildern der Wirklichkeit. Bild reiht sich an Bild, Szene an Szene.

In einem vierstündigen Kraftakt machte sich Kölns Schauspielchef Stefan Bachmann - in einer mit Julian Pörksen gemeinsam erarbeiteten Dramatisierung - Daniel Kehlmanns großen Roman Tyll, in dem sich der mittelalterliche Narr und Spötter durch den 30-jährigen Krieg bewegt, zu eigen. Das gelingt, nach ersten langen, nie so ganz ineinander greifenden Szenen, zunehmend besser; und findet im zweiten Teil zu zwingenden, ebenso mitreißend gestalteten wie optisch beeindruckenden szenischen Tableaus.

Kehlmanns vielfach ausgezeichneter Roman von 2017 ist ein ebenso realer wie fiktionaler Blick ins Grauen des Krieges. Und das in einer Form, die ebenso eindringlich wie leicht daherkommt. Hinweise aufs Heute verbieten sich - und lassen sich doch nicht wegdrücken: Europa an einem Scheideweg.

Kunstvoll, ja äußerst distanziert, werden gewichtige Momente, Diskurse und Auseinandersetzungen in Bilder versetzt, bei deren Detailversessenheit Hartmut Litzingers Lichtführung eine ebenso wichtige Rolle spielt wie Olaf Altmanns geniales Bühnen-Szenario.

So gerät die Spielebene zu einem Spiegelbild der Unterwelt, wird das oft wie Öl reflektierende Wasser zum Styx: Der Tod ist allgegenwärtig, das Jenseits gleichwohl so fern wie das Diesseits grauenvoll. In den Jahren zwischen 1618 und 1648, als Kriege, Hungersnöte und die Pest Europa an den Rand des Untergangs brachten.

Die Kölner Fassung, die sich in sieben Episoden auf die Suche nach den Menschen der Zeit macht, ihre Verlorenheit im Spiel der Mächtigen zeigt, setzt, wie Kehlmanns Roman, nicht auf chronologische Korrektheit. Sie startet im letzten Jahr des Krieges, beleuchtet wichtige Daten aus Tylls Kindheit, zeigt seinen Vater, den Müller (Jörg Ratjen), der wegen seiner menschlichen Neugier als Hexer verbrannt wurde, und spielt, vor allem und immer wieder, am Hof des „Winterkönigs“ Friedrich V. (Marek Harloff), zu dessen erbärmlich heruntergekommenem Hofstaat Tyll (Peter Miklusz) und Nele (Kristin Steffen), mit der der Narr einst seiner Kindheit entfloh, lange Zeit gehören.

Nichts ist ihm geblieben. Bis langwierige Verhandlungen in Osnabrück und Münster zu einem Frieden führten, der Europa am Boden zerstört zurückließ.