Der Weibsteufel im Theater im Depot Dortmund

Lady Macbeth der Industrie-Baracke

Teufel auch - Der Weibsteufel? Zuletzt haben sich das Theater Ulm und die Vereinigten Bühnen Bozen an den Text des 1943 verstorbenen österreichischen Schriftstellers und Dramatikers Karl Schönherr gewagt, aber nördlich der Main-Linie taucht diese archaische, ein wenig volkstheaterhafte und verstaubte Dreiecksgeschichte eigentlich nie auf. Als Gastspiel einer Inszenierung von Martin Kusej, die bereits 2009 zum Berliner Theatertreffen eingeladen gewesen war, konnten die nordrhein-westfälischen Zuschauer das Stück vor fünf Jahren bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen kennenlernen. Werner Wölbern, Birgit Minichmayr und Nicholas Ofczarek waren eine exquisite Besetzung, aber in der Erinnerung des Rezensenten verbleibt neben einem gigantischen, schräg über die Bühne gelegten Baumstamm vor allem ein Abend voller Sprödigkeit, der das Hinterwäldlerische des Stücks verstärkte, das seine Verwandtschaft zum Volksstück nicht verbergen konnte.

Jens Dornheim feiert nun mit diesem Stück das fünfzehnjährige Jubiläum des von ihm gegründeten und nach wie vor geleiteten theater glassbooth, und er hat die Handlung aus dem alpenländischen Dorf ins Ruhrgebiet der 1920er Jahre verlegt. Die bajuwarische Mundart weicht einem rauen Hochdeutsch, aus dem jungen Grenzjäger wird der Fähnrich eines Freikorps‘ nach dem 1. Weltkrieg, aus dem bayerischen Weibsbild eine russische Witwe und aus dem Hexenhäuschen im Wald eine Industriearbeiter-Baracke. Der kränkliche, impotente Schmuggler, mit dem die Titelheldin seit sechs Jahren verheiratet ist, schmuggelt auch im Ruhrpott weiter; man sagt ihm Sympathien für die Kommunisten nach.

Funken hätte man schlagen können aus dieser geographischen Verlegung des Stücks in ein politisch instabiles Staats-Gebilde, in dem rechte Freikorps und linke Anarchisten und Kommunisten einander ideologisch bekämpften, in dem das industrielle Ruhrgebiet die Bevölkerung nach verlorenem Weltkrieg wieder ernähren sollte, aber die Frage nach Aufschwung oder Ruin noch unbeantwortet ist. Doch Dornheim belässt es bei milden Eingriffen in das ursprüngliche Setting, so dass der volksstückhafte Charakter auch in der Aufführung im wunderschönen ehemaligen Dortmunder Straßenbahn-Depot spürbar bleibt. Vorsichtig geht er auch mit den gewalttätigen und erotischen Motiven des Stücks um, so dass der Abend ab und an allzu jugendfrei daherkommt. Andererseits legt Dornheim den Schauspielern ein weniger starres Korsett an als Kusej 2009 in seiner weithin akklamierten Inszenierung vom Akademietheater Wien. Gleichzeitig legt er die Struktur des geschickt konstruierten, Züge eines Dorf-Krimis tragenden Stücks frei. So wirkt die Aufführung erfreulicherweise unterhaltsamer als das zähe Star-Theater damals in Recklinghausen.

Zu Beginn von Dornheims Inszenierung hängt Ulrich Penquitt Alexandra Lowygina eine schicke braune Perlenkette um – Hehlerware zum Hochzeitstag. Der Schmuggler Penquitt trägt die typische Ruhrpott-Schiebermütze zu einem abgewetzten Jackett aus grobem Stoff und könnte auch Taubenzüchter oder Schrebergärtner sein. Sein Weib, der Weibsteufel, ist im bescheidenen, aber attraktiven roten Kleid eine ganz andere Hausnummer: Sie galt vor ihrer Hochzeit mit dem „Mann“ als eine Trophäe unter den jungen maskulinen Ruhrpöttlern – aber als eine Trophäe, an die sich keiner rantraute. Wenn Carl Bruchhäuser als der schnieke Fähnrich und angehende Leutnant den Raum betritt – ein hübscher Kerl mit gerader Haltung und gut sitzender Uniform -, hat die Kostümbildnerin Dorothee Ahrens im Verein mit der Weibsteufel-Schneiderin Barbara Rüberg schon die halbe Geschichte erzählt: Welche attraktive Frau, vor diese beiden Alternativen gestellt, würde schon bei dem schlappen Schmuggel-Kasper in seiner ärmlichen Industriebaracke bleiben?

Natürlich kann man sich darüber streiten, ob es gut ist, gleich zu Beginn so mit der Nase auf die Entwicklung der Figurenkonstellation gestoßen zu werden. Aber es ist ja, wie gesagt, erst die halbe Geschichte, die Dorothee Ahrens’ Kostüme erzählen. Die ganze ist erheblich doppeldeutiger, und sie ist ein Krimi. In kleinen Bemerkungen, mit winzigen Blicken und Gesten spielt Alexandra Lowygina diese Doppeldeutigkeit überzeugend aus und wendet sie brillant in Doppelbödigkeit. Sie kann schüchtern, mutig, schnippisch sein und mit für die Weimarer Republik ungewöhnlicher Direktheit und kleinen sprachlichen Zweideutigkeiten verführen. Überlegen macht sie den dummen, aber sich für schlau haltenden Gatten und den intelligenteren, aber liebesblöden Soldaten zum Affen; mehrfach kitzelt sie aus Schönherrs eher biederem Stück ein überraschend modernes Emanzipations-Drama. Dieser unterdrückten Frau, die ihre Intelligenz dummen und eindimensional denkenden Männern unterordnen soll, ist das Recht zur rabiaten Befreiung aus dem Patriarchat kaum abzusprechen. Doch ist Lowygina auch eine Lady Macbeth, die ihre Männer zum Verbrechen verführt. Der Soldat spürt dies, ist ihr aber zu sehr verfallen, um sich zu wehren. „Mir graut vor Dir“, wird er gegen Ende sagen – das Weib, der Weibsteufel mag tatsächlich etwas vom selbstbezüglichen Verführer Heinrich Faust haben, gleich viel aber hat die Figur von Mephisto.

Ulrich Penquitt gibt den Schmuggler als Underdog. Mehr als die beiden anderen Figuren macht er den Transfer des Stückes ins Ruhrgebiet deutlich; fast verzweifelt versucht er sein Selbstbewusstsein durch den wiederholten Hinweis auf seine angebliche praktische Intelligenz zu behaupten. Der Mann weiß einfach, wie’s läuft: Frauen sind dumm und haben sich unterzuordnen. Das Macho-Gehabe eines schwachen Mannes. wirkt unsympathisch, doch Penquitt vermag seiner Figur in seinen besten Momenten eine tragische Note mitzugeben. Gerade für den Premieren-Spielort Dortmund hochaktuell ist die Ausländerfeindlichkeit, die hochemotional und aggressiv aus dem „Mann“ herausbricht, als seine Gattin ein russisches Lied singt. Ohne dass Penquitts Spiel diesen Gedanken forciert, fällt dem Zuschauer der Transfer zur aktuellen Situation rund um die Pegida- Aktivisten nicht schwer. Es ist die Ausländerfeindlichkeit des einfachen Mannes, der sich – nachvollziehbar oder nicht - von der Gesellschaft unter Druck gesetzt und nicht verstanden fühlt.

Carl Bruchhäusers angehendem Leutnant verrutschte das Zackige in der Premierenaufführung zunächst allzu sehr ins Steife. Es mag gewollt sein, dass das Soldatische etwas Aufgesetztes bekommt, entpuppt sich der Fähnrich doch bald als von den Verlockungen der Liebe korrumpierbar und sein gerader Rücken als biegsam. Doch Bruchhäuser spielt sich frei – sein Spiel gewinnt, sobald die herbe Fassade des Soldaten Risse bekommt. Bruchhäuser hat auch die Jugendstil-Möbel mit ihren Zacken und Kanten gebaut, die die Industriearbeiter-Baracke möblieren. Es sind einfach zusammengezimmerte Möbel, aber für die 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hochmodern und extravagant im Design. Dass dieses Design in einer ärmlichen Schmuggler-Baracke zu finden war, erscheint unwahrscheinlich - dass wir sie im Theater bewundern dürfen, erhöht jedoch den Kunstgenuss – wir winken’s einfach durch und erfreuen uns am Stilempfinden des schauspielernden Schreiners.

Ein paar solcher Ecken, Kanten und Design-Elemente hätten auch dem Spiel nicht geschadet, ein wenig Georg Kaiser, Alfred Döblin oder von mir aus auch Kafka hätte das Volksstückhafte zurückgedrängt, ohne der Spannung und Unterhaltung zu schaden. Gegen Ende hat die Aufführung Längen – bis Alexandra Lowygina mit einem packenden Tanz die finale Eskalation provoziert. Solche Szenen hätte es häufiger gebraucht. Den richtigen Künstler hätte Dornheim im Leitungs-Team gehabt: Danny-Tristan Bomboschs Musik, meist nur zwischen den Szenen zu hören, erfüllt den Auftrag des Regisseurs perfekt. Dornheim hatte sich für die Verlagerung der Handlung in den Ruhrpott einen „kalten, maschinellen Sound“ gewünscht, „der … gleichzeitig die Leidenschaft der handelnden Figuren und die Erbarmungslosigkeit der Ereignisse widerspiegeln sollte“. Das ist großartig gelungen.

Der Abend bietet nicht nur gute Unterhaltung, sondern ist eine großartige Gelegenheit, ein fast vergessenes Stück kennenzulernen. Karl Schönherr, der zu seiner erfolgreichsten Zeit als der bekannteste österreichische Dramatiker neben Arthur Schnitzler galt, war nie ganz unumstritten – die Aristokratie versuchte, Stücke wie den Weibsteufel zu verbieten, die Nazis verboten manche seiner Stücke, obwohl sich Schönherr ihnen mehr als nur arrangierte. Seine Stücke, in denen starke Frauen und männliche Verlierer im Vordergrund stehen, gelten als die Stärksten. Außer dem Weibsteufel hat kaum eines auf den Bühnen überlebt. Umso mehr ein Grund, sich diesem Autor mit einer solchen Inszenierung zu nähern.