Frauenpower sieht anders aus
Ein weiter leerer Bühnenraum, die Wände schwarz, in der Mitte ein von innen erleuchteter Steg, rechts und links davon ein paar Stuhlreihen, vielleicht ein Versammlungsraum. Am Ende des Leuchtstegs eine Tür, durch die eine Frau auf uns zukommt: eine elegante Erscheinung in beigem Kostümrock, Seidenbluse und Pumps. „Liebe Parteifreunde“, spricht sie uns emotionslos an und erklärt in einem überdehnten Monolog, dass ihr Mann, auf den wir Parteigenossen angeblich warten, zwar erscheinen, aber nicht zu uns sprechen wird. Und dass er Fehler gemacht habe, die allerdings nicht politischem Versagen, sondern seinen Idealen entspringen.
Damit wissen wir fast alles, was es an diesem Abend zu erfahren gibt.
Der Mann, um den es geht, ist Meinrad Hofman, Präsident eines bedeutenden Landes. Welchen Landes, erfahren wir nicht. Auch welche Fehler er machte, bleibt geheim, es geht wohl um eine falsche Geste, so eine Andeutung seines „Spin Doktors“ (so im Programmheft), will heißen seines engsten Beraters Dieter Seeger (Wolfgang Michalek). Der taucht auch gleich nach dem Monolog der First Lady, Ebba Hofman, (Jana Schulz) auf und wir bemerken, dass die Deklamation nur ein Probelauf war. Dieser Dieter verhält sich unangenehm fordernd und manipulativ gegenüber dem Präsidentenpaar und erweckt bei mir den Verdacht, ein kleiner „Brutus“ zu sein, was sich leider (zum Nachteil der Dramatik des Stückes) nicht bewahrheitet. Seine Zwielichtigkeit liegt, wie wir später erfahren, im privaten Bereich, der allerdings ohnehin immer wieder mit dem politischen durcheinanderwirbelt. Dann endlich erscheint der Präsident (Christian Erdmann), ein gebrochener Mann, der seine Ideale längst verlor und seine Depressionen mit einem ganzen Cocktail Psychopharmaka bekämpft. Obwohl niemand davon wissen darf, verrät er es dem geschickt insistierenden Dieter, der aber, wie gesagt, gar nicht „der Böse“ ist. Auch hier böte sich wieder ein Spannungsmoment, das ungenutzt verpufft. Schade, schade, dass die Autorin Lot Vekemans die Chance zu einem Gegenspieler nicht nutzt. Stattdessen wird wieder und wieder über die geheimnisvollen „Fehler“ des Präsidenten und die drohende Entthronung gesprochen. Doch der unsichtbare Feind ist nicht etwa eine gegnerische Partei, sondern die eigene Mannschaft. Und während der Präsident bereit ist, ob der verlorenen Ideale, die niemand näher benennt, zurückzutreten, besteht seine Frau darauf, weiterzumachen. Und da kommt die vierte Figur ins Spiel: André Karczmarczyk tänzelt im schwarzen Suit mit einem lauten „Hallo Mama!“ auf Ebba zu umschwänzelt sie, fordert sie heraus: er ist der „Geist“ ihres „ungeborenen Kindes“, der nur für sie sichtbar ist. Auf den Tag genau vor zehn Jahren wurde er tot geboren, eine Schwangerschaft und Fehlgeburt, von der Ebbas Mann nichts wissen darf. Wieso? Dieter ist der Erzeuger. Fortan umschwirrt sie das Phantom, mal mephistophelisch zynisch – ihr personifiziertes schlechtes Gewissen, mal kindlich um einen Namen bittend, den sie ihm damals verweigerte. Eine Glanzrolle für Kaczmarczyk, wenn auch im realistischen Politdrama etwas befremdlich. Zumal er zwischendurch aus dem Privaten ausbrechen und die Kennedy-Geschichte parodieren muss: Kennedy, der Süchtige nach Drogen und Frauen, „Kennedy, der kaputteste Weltenlenker, den es je gab“. Und dann fällt auch noch wie nebenbei der Name Adolf Hitler.
Nach endlosen Dialogen und Monologen um Ideale, Macht, Erfolg und Scheitern wechselt das Thema ins Private: von Opfern und Verrat ist jetzt die Rede und Ebba gesteht, dass auch sie „Speedpillen“ nimmt. Im glitzernden Abendkleid hockt sie am Boden und schluckt Meinrads und ihre eigenen Pillen zugleich.
Ebba liegt im Koma. Sie gibt ihrem ungeborenen Kind einen Namen: Felix, und sein Geist verschwindet. Dann steht sie auf, zieht Männerkleidung an und erklärt gleich mehrfach: “Ich möchte mich zur Wahl stellen… Weil ich glaube, dass ich etwas ändern kann. ..Und weil ich weiß, dass ich es kann.“
Hier sollte Schluss sein, dann wäre es ein „Emanzipationsstück“, wie im Programmheft behauptet. Aber nein, Ebba fordert von Meinrad, in ihre alte Rolle zu schlüpfen, in die Rolle, aus der sie sich gerade befreit hat: „Ohne deine Unterstützung geht das nicht“ befürchtet sie. Denn – Deus ex machina – Meinrad ist auch wieder gesund und will den Präsidenten-Job behalten. Während Ebba die gesellschaftliche Spiegelfunktion fordert, erhebt sich im Hintergrund, wie zur Bestätigung, ein riesiger Spiegel, in dem wir alle uns spiegeln. Fraglich, ob dieses Zeichen vom Hausregisseur Roger Vontobel bewusst gesetzt wurde. Wie überzeugend wäre es, wenn Edda nicht die Spiegel- , sondern eine eigenständige Subjektposition für sich einfordern würde. Das wäre Feminismus, der auf die Souveränität der Frau und nicht auf die alte Vergeltungslogik setzt. Und dafür brauchte Ebba weder ein Männerhemd noch all die anderen Klischees.
Insgesamt fehlt dem Stück nicht nur eine überzeugende Logik, sondern auch eine echte Dramatik. Die sollte doch gerade im politischen Machtkampf zu finden sein. Stühlewerfen (selbst der Geist macht da mit) demonstriert nicht die Mechanik der Macht und ersetzt keine Konfliktlösung.
Für die grandiosen Schauspieler bot die Vorhersehbarkeit der Handlung sowie die thesenhafte, sich wiederholende Problemerörterung kaum Spielraum für psychologische Figurenentwicklung. Dennoch feierte das Premierenpublikum seine Schauspieler*in mit herzlichem Applaus.
Das Werk der Niederländerin Lot Vekemans wurde in Düsseldorf uraufgeführt, bevor es im Original auf die Bühne kommt.