Übrigens …

No President im Schauspielhaus Düsseldorf

Mit Sex und Kannibalismus auf den Präsidenten-Thron

Die Truppe vom „Nature Theater of Oklahoma“ kommt nicht aus Oklahoma, sondern aus New York – wie der gegenwärtige Präsident der USA. Ihren Namen hat sie dem Roman-Fragment „Amerika“ von Franz Kafka entlehnt, in dem der Protagonist Karl Roßmann ein Engagement „für niedrige technische Arbeiten“ am Naturtheater von Oklahoma erhält. Amerika also, die USA: das Land, das wir als Weltpolizisten und aufrechten Kämpfer für Freiheit und Demokratie schätzen, das Land großer Politiker und Präsidenten. Aber ach: „To have no President is better than this president“, denkt man, wenn man den gegenwärtigen Amtsinhaber betrachtet. Kelly Copper und Pavol Liska vom Nature Theater of Oklahoma haben den Blickwinkel ein wenig erweitert. In ihrem aufklärerischen Handlungsballett No President führen sie die Existenz der so gefährlichen wie lächerlichen Politiker-Karikatur, die an der Spitze des wichtigsten Landes der westlichen Welt steht, auf eine allgemeine Erosion der Regeln des Zusammenlebens zurück.

In der zweieinhalbstündigen furiosen, dennoch bisweilen eintönigen Performance, einer Koproduktion mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus, die bereits bei der Ruhrtriennale in Gladbeck ihre Uraufführung feierte, tun sie das nicht wütend, sondern sarkastisch – und zunächst einmal mit einer grotesken, völlig meschuggenen Story: Mikey und Georgie sind ziemlich beste Freunde und Angestellte einer Sicherheitsfirma, die ausschließlich ehemalige Schauspieler anstellt. Sie haben einen Theatervorhang zu bewachen: In Zeiten von Unsicherheit und Terror sind Theateraufführungen schließlich besonders interessante Ziele für Kriminelle. Und außerdem: Wer weiß schon, was sich hinter solch einem Vorhang verbirgt? Mikey ist ein glühender Verehrer von Stanislawski, Strasbergs Method Acting und der Ehefrau des Chefs. Auch Georgie ist in die schöne Vorgesetztengattin, die zugleich Aufseherin der beiden ist, verliebt. Ein konkurrierendes Sicherheits-Unternehmen, das ausschließlich ehemalige Balletttänzerinnen und -tänzer beschäftigt, bläst zum Angriff; Mikey, von Dämonen geplagt und so naiv wie gnadenlos, schließt einen faustischen Pakt mit dem Teufel und mäht alles um, was seinen Ambitionen oder seiner Pflichterfüllung hinderlich ist. Dass dabei auch der beste Freund Georgie auf der Strecke bleibt, ist traurig, aber hinzunehmen, zumal Georgie wenige Minuten nach seinem Theatertod schon wieder mit der schönen Aufseherin kopuliert und ein paar hübsche Ballettschritte absolviert.

Dass es irgendwie auch um Trump gehen könnte und um die gesellschaftlichen Umstände, aus denen dessen Präsidentschaft resultiert, bemerken wir erst spät – eigentlich erst im zweiten Akt. Da ist der Boss tot, Mikey wird schwanger und gebiert ein zweites Selbst: Er wird zum Präsidenten der Company. Sein Method Acting als Präsident gleicht den Methoden desjenigen, der zur Zeit auf dem Washingtoner Thron sitzt: Wir erleben hemmungslose Selbstinszenierung, Massenpropaganda-Spektakel und „avantgardistische Führungsmethoden“. Engagiert werden nur noch Speichellecker; wer widerspricht, wird gefeuert. Der Präsident sitzt meist vor dem Fernseher und verschickt Massen-SMS an alle, die ihn kennen. Aber niemand kommt zu seiner Party. Angeekelt verschmäht selbst der Teufel die Seele des verderbten Präsidenten.

Das Reden besorgt in dieser abstrusen Geschichte nur einer: Robert M. Johanson. Wenn er zweieinhalb Stunden lang erzählt, was wir auf der Bühne sehen, steht er scheinbar unter Dauerdruck: Treibend, mit enormem Tempo, aber nur wenigen stimmlichen Modulationen führt er durch die sich immer unwahrscheinlicher entwickelnde Handlung. Die physische Performance und die Gedächtnisleistung des virtuosen Johanson sind atemberaubend. Die deutsche Übersetzung von Ulrich Blumenbach, mit der die englischsprachige Aufführung übertitelt ist, wirkt zugespitzter und witziger als das englische Original, obwohl auch das mit manch hübschen Alliterationen prunkt. Bisweilen erinnern die überraschenden, grotesken Wendungen und Eskalationen der Erzählung an den Stil der britischen Kult-Gruppe Forced Entertainment – wenn da nicht zusätzlich die Aktion auf der Bühne wäre.

Denn Mikey, Georgie, Boss und Gattin, zahlreiche Nebenfiguren sowie ein neunköpfiges „Corps de Ballet“ tanzen. Zu einer eher lieblos wirkenden Aufnahme von Tschaikowskis „Nussknacker“ agieren die Schauspieler und Tänzer in Stummfilm-Ästhetik. Ilan Bachrach als Mikey und Bence Mezei als Georgie sind mit ihren großartigen, bewusst stümperhaften Ballettbewegungen und Grimassen eine ironische Stan und Ollie Kopie; Alexej Lochmann als einziger Schauspieler aus dem Team des Düsseldorfer Schauspielhauses fügt sich als Hausmeister und in anderen Nebenrollen nahtlos in das internationale Ensemble ein und hat, mit debilem Dauer-Grinsen seinen etwas schwerer geratenen Körper im Ballett-Rhythmus über die Bühne schleppend, eine enorme komödiantische Präsenz. Dennoch: Der mit eineinhalb Stunden viel zu lang geratene erste Akt gerät zur Geduldsprobe. Wir dürfen uns an den köstlichsten Abarten von Sex und Kannibalismus delektieren und erleben Splatter vom Feinsten, aber gespielt, erzählt und getanzt wird in immer gleichem Stil und Rhythmus. Es ist viel Druck auf der Tube, aber das Resultat ist das gleiche wie bei der Formel 1: Wenn immer gleich schnell im Kreis gefahren wird, stellen sich Monotonie und Langeweile ein. Erst wenn zu Beginn des 2. Aktes die Bezüge zum Charakter und Regierungsstil des US-amerikanischen Präsidenten überdeutlich werden, beginnt die Inszenierung des Nature Theaters of Oklahoma zu faszinieren und auch inhaltlich zu interessieren.

Dabei scheinen Trash und Comic die adäquaten künstlerischen Mittel zu sein, sich dem gegenwärtigen amerikanischen Präsidenten zu nähern: Schon Falk Richter hat dies in seiner zur „Inszenierung des Jahres 2018“ gewählten Interpretation von Elfriede Jelineks Präsidenten-Drama Am Königsweg am Deutschen Schauspielhaus Hamburg so gehalten. Wenn Alexej Lochmann einmal als riesiger aufgeblasener Pandabär die Bühne entert, fühlen wir uns sogar sehr konkret an die Muppet Show Figuren aus Richters hochgelobter Inszenierung erinnert. Mit Trash und Comic, mit der Stummfilm-Ästhetik von Laurel und Hardy persifliert die Performance das klassische Ballett und das Theater vom Spitzentanz über das Method Acting bis zum heute längst in die Performance-Kultur eingeflossenen Wrestling. Der Hang zu Tabubrüchen (auch und gerade in Politik und Gesellschaft) wird ebenso aufs Korn genommen wie immer wieder der den US-amerikanischen Schauspielschulen nach wie vor heilige Stanislawski, aber hinter der Comic-Ästhetik verbergen sich, ganz harmlos daherkommend, auch wütende Attacken. Mikey wird von den Dämonen auf der Toilette erniedrigt und vergewaltigt, doch er richtet nur seine Kleidung und geht wieder an die Arbeit: „So ist die Welt“, kommentiert Johanson lakonisch. Und als Mikey später von seinem Chef sexuell angegriffen wird, heißt es nur: „Mikey weiß, wie schwer sexuelle Bedürfnisse zu kontrollieren sind. Und außerdem: Es ist sein Boss.“ Da haben wir sie: die gnadenlose Ausnutzung von Machtverhältnissen im Theater, das „Pussy-Grabbing“ des aktuellen Präsidenten, die #MeToo“-Debatte im Theater.

In dem Schauspieler nichts als einen Vorhang bewachen sollen. Dieser Vorhang, so wird sich herausstellen, war nichts als ein belangloser Fetzen Stoff. Die Bühne hinter dem Vorhang ist leer, und das Drama, das hier gespielt wurde, hatte von Anfang bis Ende keinen Sinn. So ist das heute bei den pompösen Präsidenten-Nullnummern, ob sie nun Trump oder Erdogan heißen. – Zu Beginn hatte es geheißen, bei dem Arbeitgeber von Stan und Ollie handele es sich um „die unterhaltsamste oder die langweiligste Sicherheitsagentur, die man engagieren kann“. So ist auch diese Aufführung. Unterhaltsam, aber – vor allem im ersten Akt - in ihrer aufgekratzten Gleichförmigkeit auch tödlich langweilig. Doch sie steckt voller überraschender Ideen. Ohne Sinn ist sie nicht: Hinter der trashigen Fassade verbirgt sich scharfe Gesellschaftskritik.