Draußen vor der Tür im Köln, Schauspiel

Ein Wechselbad der Gefühle

„Pennen“ will er, nur noch „pennen“, denn „da oben“ hält er es „nicht mehr aus“. Sagt Beckmann, ein wenig grünlich im Gesicht und am Körper, zu den drei Grazien, die ihn, mit strahlenbehaftetem Heiligenscheinen, „oben“ empfangen. Hatte er sich doch durch einen Sprung in die Elbe das Leben nehmen wollen. Doch die Elbe wollte ihn nicht, spuckt ihn in Blankenese wieder an Land. Grünlich verquollen weiß er nun nicht mehr so recht, sich in dieser Welt zurechtzufinden.
In der Außenspielstätte des Kölner Schauspiels am Offenbachplatz steigt ein schmaler, in Unterhemd und Schlaghose recht zivil auftretender Kriegsheimkehrer in die Szene. In eine Szene, deren grün-weiße Spielfläche von vier Iglu-Zelten umrahmt ist. Recht unbehaust – fällt einem dazu ein. So könnte man auch Beckmanns Situation umschreiben. Auch wenn er, in der Inszenierung der siebenundzwanzigjährigen Charlotte Sprenger, fast permanent von weiblichen Wesen umgeben, ja umgarnt wird.
In Wolfgang Borcherts 1947 uraufgeführtem Drama Draußen vor der Tür, in dem ein aus russischer Gefangenschaft im fremd gewordenen Deutschland strandender und an der Realität verzweifelnder Spätheimkehrer der „Held"ist, mutieren die Elb-Nixen nämlich zu dem „Mädchen", das ihn am Leben halten will, zu dem „Anderen“, zum „Oberst“, zu Gott und Tod. In einem Spiel, in dem Beckmann, bei einem seiner Auftritte von Massen-Jubel über Lautsprecher angefeuert, alles ist – nur nicht der Mann, dem Borchert, versehen mit vielen autobiografischen Zügen, den Weg in die Wirklichkeit des Nachkriegsdeutschlands als Stolper-Parcour gepflastert hat.

Weder trägt er, Jahre nach Stalingrad und später Heimkehr aus dreijähriger Gefangenschaft, seine abgerissene Uniform, noch verunziert ihn die Brille, die bei Borchert eine hässlich-grobe Gasschutzbrille ist. Und auch von einem zerschossenen Knie ist nichts zu sehen. Da steht einfach nur ein Häufchen Elend, dem jede innere Verzweiflung abgeht. Nichts als ein schutzloser junger Mann ist er. Ohne tragischen Tiefgang. So darf denn auch viel gelacht werden. Etwa wenn sich Beckmann, statt der Borchert’schen Brille, eine einfache Nickelbrille auf die Nase setzt. Dann kringelt sich das „Mädchen“, Gestalt geworden in der 79-jährigen Margot Gödrös, vor Lachen.
Von nun an geht’s Beckmann allenthalben an den Kragen. Das Dreigestirn der Frauen aus drei Generationen lässt den armen Kerl kaum noch zu Wort kommen. Nicht mal seine eigenen Befindlichkeiten strömen aus ihm selbst heraus. Mehr und mehr wird er zum Spielball, übernehmen die Frauen das Regiment. Selbst seine Texte, das, was er der Welt entgegen zu schleudern hat, wird durch sie okkupiert. So intensiv, dass Beckmann mehr und mehr zu Clowns-Gestalt gerät.
Wollte Charlotte Spengers Regie damit den Vorwurf entkräften, der Borcherts Drama oft genug entgegenschlug und immer wieder entgegenschlägt? Dass sein Held nämlich vor lauter Selbstmitleid zerfließe statt sich in die Gesellschaft, wie sie nun einmal ist, einzufügen? Ein Vorwurf, der sich eigentlich als absurde Überheblichkeit unserer Moderne erweist – sieht man sich nur kurz in der Welt von heute um. Haben wir’s doch soweit gebracht! Haben wir das? Heilige Simplicitas! Unheilige Selbstgerechtigkeit!
Dass die Inszenierung gleichwohl sehenswert ist, erweist sich zunehmend gegen Ende des Abends. Wenn etwa Sabine Orléans mit umwerfender Körperlichkeit und Verbal-Arroganz den Oberst in Szene setzt, erhellt ein Glanzlicht Szene und Stück. Und wenn sie, gleichsam als Schlusspunkt, in einem Selbstgespräch – in der Rolle, die eigentlich Beckmann zukommt – den Tod der Eltern beklagt, ist für wenige, aber packende Minuten ein Blick in die Unfassbarkeit der Folgen eines Krieges eingefangen. Gleichwohl bleibt das gefühlte Unbehagen, eine Verharmlosung des Borchert-Stücks erlebt zu haben.
Wolfgang Borchert starb übrigens mit 26 Jahren, am 20. November 1947, einen Tag vor der Uraufführung seines Beckmann-Dramas in den Hamburger Kammerspielen, im St.Clara-Spital zu Basel. „An einer Art Gelbsucht“, wie er selbst schrieb. Sie endete im Tod
PS: Eine ganz persönliche Anmerkung sei dem Autor dieser Rezension gestattet. Dem aus russischer Kriegsgefangenschaft – übrigens im einstigen KZ Auschwitz - im Herbst 1945 entlassenen Vater wurden, auf dem Weg zurück „nach Hause", auf dem Würzburger Hauptbahnhof die Worte „Wieder einer dieser Kriegsverlängerer“ entgegen geschleudert. Wolfgang Borcherts „Beckmann“ war, entgegen aller Verharmlosung, bittere Realität.